Mordrausch
er.
Lucas und Virgil musterten ihn kurz, dann steckte Virgil seine Waffe weg und fragte: »Können wir gehen?«
»Lassen Sie mich austrinken. Außerdem wollte ich über ein paar Sachen mit Ihnen reden.«
Lucas sah Virgil an, der nickte.
»Wir können jede Hilfe gebrauchen, Mann«, sagte Lucas zu Joe.
Joe Mack schnaubte. »Von wegen Hilfe.« Er nahm einen Schluck Bourbon. »Sie müssen wissen, dass Honey Bee keine Ahnung hatte. Ich werde Ihnen nichts sagen, was mich ins Gefängnis bringen könnte, aber das verrate ich Ihnen.«
»Am Telefon haben Sie behauptet, Sie hätten Barakat das Genick gebrochen«, erinnerte ihn Lucas.
»Beweisen Sie das mal.«
Virgil trat zu ihm. »Ich möchte ja nicht unfreundlich wirken, aber würden Sie aufstehen, damit ich Sie abtasten kann? Ich möchte mir ein Bierchen genehmigen und habe Angst, dass Sie irgendwo eine Waffe verstecken. Waffen machen mich nervös.«
Da Lucas wusste, wie Virgil arbeitete, ließ er ihn gewähren, obwohl ihm bei dem Gedanken an das Bier nicht ganz wohl war.
Joe Mack schlüpfte von dem Barhocker, so dass Virgil ihn abtasten konnte. Virgil schaute auch unter den Hocker und fand nichts.
»Ich hab keine Waffe«, sagte Joe Mack erneut.
»Ich muss Sie darüber aufklären, dass Sie das Recht haben, sich einen Anwalt zu nehmen. Wenn Sie sich keinen leisten können …«, begann Lucas.
Als er fertig war, sagte Virgil: »Okay«, trat hinter den Tresen und zapfte sich ein Bier. »Lucas?«
»Ein kleines.«
»Soll ich Ihr Glas nachfüllen?«, fragte Virgil Joe.
»Ja.« Joe schob es über die Theke.
Lucas setzte sich neben Joe Mack, und Virgil reichte ihnen die Gläser.
»Warum sparen Sie sich die Rechtsbelehrung nicht einfach?«, erkundigte sich Joe Mack. »Wenn jemand fragt, könnten Sie doch behaupten, Sie hätten’s gemacht.«
»Ist besser, nicht mehr zu lügen als unbedingt nötig«, antwortete Lucas.
»Besonders vor Gericht«, fügte Virgil hinzu.
Lucas nahm einen Schluck Bier und sah Joe Mack über den Rand seines Glases hinweg an. »Große Teile dieses Falles sind uns noch nicht klar. War Ihr Dad in die Aktion eingeweiht? Oder haben Sie ihn benutzt? Wir wissen, dass die Medikamente in seinem Klärbehälter versteckt waren.«
Joe Mack redete; Virgil ölte seine Kehle mit Highballs. Irgendwann ging die Tür auf, und kalte Luft wehte herein. Lucas stand auf und klemmte einen Stuhl unter die Klinke, damit sie zublieb. Nach etwa einer Stunde kannten sie die ganze Geschichte.
»Du hattest in fast allen Punkten recht«, sagte Virgil zu Lucas.
»Ich hab zu viel gequasselt, was?«, fragte Joe Mack.
»Schreckliche Sache, Joe Mack«, bemerkte Virgil kopfschüttelnd. »Diese Jill MacBride …«
»Wenn ich daran denke, wird mir schlecht«, murmelte Joe Mack.
»Das hilft Jill MacBride und ihren Töchtern auch nicht mehr«, stellte Lucas fest.
»Scheiße«, sagte Joe Mack und starrte in sein fast leeres Glas. »Wir sind einfach zu dämlich. Das ist schuld an allem. Wir waren nicht clever genug, diese Kneipe zu führen, ohne nebenbei Hehlerware zu kaufen und zu verkaufen. Ganz zu schweigen davon, dass wir nicht den Grips für einen Coup wie den Krankenhausüberfall hatten. Dass Mikey den Mann getreten hat? Dummheit. Cappy? Dummheit. Und ich bin aus Dummheit geflüchtet. Das weiß ich. Alle wissen das.«
Er trank sein Glas aus, das vierte, seit Lucas und Virgil bei ihm waren.
»Gehen wir«, sagte Lucas.
»Noch eins«, bat Joe Mack mit wässrigem Blick. »Ich bin Alkoholiker, und zwar gern. Das gehört zu meinen wenigen Freuden. Es könnte mein letzter Drink sein.«
»Noch ein Bier?«, fragte Virgil Lucas.
Lucas blickte aus dem Fenster auf die schmutzigen Autos, die auf dem schneebedeckten Highway vorbeisausten, auf die grauen Wolken, die sich am Himmel türmten, auf die kahlen Bäume, die aussahen wie schwarze Blitze. Die Wolken waren dabei zu verschwinden, dafür kam die Kälte. Minus zwanzig Grad heute Nacht, vielleicht minus fünfundzwanzig in der kommenden.
»Warum nicht? Ich wüsste keine bessere Beschäftigung an einem solchen Tag.«
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