Mordrausch
Handgranate durchs Küchenfenster in den Garten geschleudert, wo sie explodiert sei.
Obwohl niemand verletzt worden war, vermutete Weather, dass die Frau sich in psychologische Betreuung begeben müsste.
Als Jenkins eintraf, legte Virgil sich zum Schlafen hin. Um neun Uhr rief Weather eine Freundin in der Verwaltung der University of Minnesota Hospitals an.
Wenige Minuten später betrat sie das Wohnzimmer. »Virgil?«
Virgil schlug die Augen auf. »Ja?«
»Ich wusste nicht, ob ich dich wecken soll. Ich habe mit jemandem von den University Hospitals telefoniert, wo dieser Shaheen Assistenzarzt war. Wir wollten doch überprüfen, welche Leute dort wann gearbeitet haben. Shaheen hatte an dem Morgen, als die Macks ermordet wurden, Dienst, von sechs Uhr an. Und zu Ike Macks Haus braucht man von der Klinik zwei Stunden.«
»Hm.« Virgil setzte sich mit zerzausten Haaren auf. »Das heißt nicht, dass er es nicht gewesen sein kann. Wir wissen, dass Mack nach ein Uhr morgens, als die Kneipe zugemacht wurde, noch am Leben war. Shaheen könnte durchaus geholfen haben, Mack umzubringen, und dann in die Arbeit gegangen sein, während Garner zu Ike gefahren ist und ihn ermordet hat.«
»Sehr wahrscheinlich klingt das aber nicht«, sagte Weather. »So etwas möchte man doch gemeinsam erledigen, oder?«
Virgil rieb sich gähnend den Nacken. »Ich versuche lediglich, wie ein Anwalt zu argumentieren.«
»Versuch lieber, wie ein Polizist zu denken.«
»Okay, das bedeutet, dass der Fall noch nicht abgeschlossen ist, dass wir nach wie vor nach einem Araber suchen, jetzt allerdings nach einem groß gewachsenen, schlanken mit Schnurrbart, nach jemandem, der Shaheen kannte. Der wusste, dass Shaheen genug Ähnlichkeit mit ihm selbst hat, um uns von ihm abzulenken. Besonders wenn …« Virgil sah sie an.
»Besonders wenn ich aus dem Weg geschafft bin«, beendete sie den Satz für ihn.
»Ja. Das wäre doch das Sahnehäubchen auf dem Kuchen. Für den Doc, meine ich.« Virgil blickte sich um. »Wo steckt Jenkins?«
»Ich hab ihn zum Schneeschippen rausgeschickt. Ich möchte ins Krankenhaus fahren und mir die Zwillinge ansehen.«
»Okay. Sobald die Auffahrt frei ist, machen wir uns auf den Weg, wieder im Konvoi. Auch wenn ich Garner für den eigentlichen Killer halte.«
Weather brach um halb zehn auf. Lucas teilte ihr mit, er sei auf dem Weg nach Hause und werde sich ein Schläfchen gönnen.
In der Klinik begleitete Virgil Weather auf die Intensivstation, postierte Jenkins dort und ging selbst in die Cafeteria, wo zwei Polizisten aus Minneapolis Kaffee tranken. Virgil gesellte sich zu ihnen. »Wer leitet den Einsatz heute?«
»Wissen wir nicht so genau. Schätze, Lee Hall ist der ranghöchste«, antwortete einer von ihnen.
»Wo kann ich ihn finden?«
»Ich funke ihn an.« Er erklärte seinem Kollegen, dass Virgil Flowers mit ihm reden wolle, beendete das Gespräch und sagte zu Virgil: »Er kommt gleich. Im Moment ist er bei den Leuten von der Spurensicherung.«
Virgil setzte sich an einen Tisch. Kurz darauf rief Lucas ihn an. »Die Gerichtsmedizin hat sich bei mir gemeldet«, teilte Lucas ihm mit. »Zwischen Garners Flucht aus dem Krankenhaus und seinem Tod im Truck hat jemand seinen Zeh behandelt, den du getroffen hast. Der Gerichtsmediziner meint, das muss ein Profi gemacht haben.«
»Und zu dem Zeitpunkt war Shaheen mausetot.«
»Ja.«
»Das wussten wir bereits«, sagte Virgil. »Der Kerl, nach dem wir suchen, sieht aus wie ein größerer, schlankerer Shaheen.«
Auch mit dieser Information benötigte Virgil fast vier Stunden, um ihn aufzuspüren.
»Wir können uns glücklich schätzen, dass unsere Mädchen von diesem Team operiert wurden«, schwärmte Lucy Raynes. »Es war einfach unglaublich.«
»Es ist noch nicht ganz durchgestanden«, sagte Weather.
»Es gibt so viel zu tun. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, klagte Lucy Raynes. »Ich habe mir eigens ein Notizbuch zugelegt. Jetzt beginnen alle möglichen Therapien für die beiden – sie sind körperlich stark unterentwickelt, weil sie sich nicht unabhängig voneinander bewegen konnten. Saras Herzoperation steht an, und falls noch mal was an den Implantaten gemacht werden muss oder irgendein Notfall eintritt …«
Sara wachte auf und begann zu wimmern. Sie hatte bisher, festgehalten vom Gewicht der Schwester, stets auf dem Rücken geschlafen; nun schien sie fast in dieser Stellung gefangen. Als sie den Kopf nach rechts drehte und keinen Widerstand
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