Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
beiläufig zu seinem Hund hinüber. »Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Der ist nicht der Typ, der jemanden umbringt und dann zerlegt.«
»Und was ist, wenn er ihn nicht zerlegt hat? Nur getötet? Ich meine, wegen der fehlenden Blutspuren auf seiner Kleidung.«
»Daran hab ich auch schon gedacht«, sagte Gabriel. »Aber das passt nicht. Der legt den doch nicht um, wartet, bis jemand ihn zerlegt, und holt dann die Überreste mit einem Einkaufstrolley ab. Das ist doch absurd.«
»Was ist mit diesem Freund?«
»Joe Karpach?«, fragte Gabriel. »Welches Motiv sollte der haben? Die beiden waren befreundet, haben zusammengearbeitet.«
»Eifersucht«, sagte Sandra und genoss ein paar Sekunden lang Gabriels überraschten Blick. »Hast du das nicht gesehen? Wie er Berkens’ Frau angesehen hat? Das war ganz klar mehr als Mitgefühl.«
»Du solltest nicht so viele Soaps gucken«, erwiderte Gabriel.
»Ich weiß, was ich gesehen hab. Und warum eigentlich nicht die Ehefrau selbst? Hat sich einem neuen Mann zugewandt …«
»… und zerhackt den Alten? Also wirklich, Sandra.«
Die Wirtin betrat den Speiseraum und sagte: »Sans fertig?«
»Was ziehen Sie für ein Gesicht?«, sagte Gabriel. »Das hat sehr gut geschmeckt. Ehrlich.«
»Ach«, sagte sie. »Wenn man Ihnen so zuhört, richtig schwindlig wird einem davon. Manchmal bin ich wirklich froh, dass mein Mann, Gott hab ihn selig, nicht mehr lebt. Überall Mord und Totschlag.«
»Ich stehe für gewöhnlich nicht mit einem Beil in der Küche«, erwiderte Gabriel und bekam von der Wirtin eine Antwort, die er nicht verstand. Wahrscheinlich handelte es sich um ein Schimpfwort.
»Was ist mit diesem Code?«, fragte Gabriel, als sie wieder allein waren.
»Bis jetzt nichts«, sagte Sandra. »Aber ich hab da eine Idee.«
»Ich hoffe, die hat was mit Laufen und Ermitteln zu tun und weniger mit Telefonieren.«
»Keine Sorge«, sagte Sandra.
»Kann man damit auch telefonieren?«, fragte Gabriel und deutete auf das Tablet.
»Hast du kein Handy mehr?«
»Ich meine telefonieren mit Bildern, also …«
»Skypen?«, fragte Sandra.
Gabriel lieh sich das Gerät aus.
»Aber Chef, da sind persönliche Dateien drauf.«
»Glaubst du wirklich, deine persönlichen Dateien interessieren mich?«, fragte Gabriel, schnappte sich das Gerät und stieg mit Mutter die Treppe in sein Zimmer hinauf.
11.
Gleich hinter der mit zwei Türmen versehenen Pfarrkirche Sankt Ludwig und dem Staatlichen Bauamt behauptete sich das gewaltige Viereck der Bayerischen Staatsbibliothek.
Sandra überquerte die sechsspurige Ludwigstraße und betrat das Eingangsportal. Sie sah sich um und wandte sich an eine nur mit einer dünnen Strickweste bekleidete Bibliothekarin, die sich ein Namensschild an die Bluse geheftet hatte. Sandra zeigte ihren Polizeiausweis.
»Nein, eine solche Signatur haben wir nicht«, sagte die Frau, nachdem sie einen Blick auf die Kopie des Zettels geworfen hatte, den Gabriel im Bad des ehemaligen TÜV Gebäudes entdeckt hatte.
»Könnte sie zu einer anderen Bibliothek gehören?«
»Möglich«, sagte die Frau, »aber vielleicht auch zu einer aufgelösten Sammlung. Die Zahlen- und Buchstabenfolge wirkt ein wenig veraltet. So etwas benutzt man allenfalls für kleinere Sammlungen.«
»Und es gibt keine Bibliothek, die das zentral aufbewahrt? Ich meine, Klosterschriften, sakrale Texte, vielleicht auch Bücher zum Brauereiwesen?«
»Brauereiwesen?«, fragte die Bibliothekarin und betrachtete den Zettel. »Wissen Sie, mein Latein ist ein wenig eingerostet.«
»Was passiert denn etwa mit einer Klosterbibliothek, die aufgelöst wird? So was kommt doch vor.«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Frau.
»Die landen häufig in unseren Kellern.« Sie blickte auf den Boden und sagte: »Wissen Sie, wir stehen hier auf ungehobenen Schätzen. Das meiste ist unverzettelt, und niemand weiß, was da alles verborgen ist.«
Zehn Minuten später schritt Sandra durch einen weitläufigen Keller, in dem Bücher und Dokumente in Regalen, Kartons und Plastikbehältern lagerten. Wegen Personalmangels könne man die Sammlungen aus Klöstern, Kirchen und von Privatleuten nur sehr schleppend in den allgemeinen Bibliothekskatalog einarbeiten. Trotz eines hochmodernen Apparats brauche auch das digitale Einscannen seine Zeit, hatte die Bibliothekarin noch gesagt.
Im Übrigen solle sie sich keine Gedanken machen, wenn sie im Keller Gespenstern begegnet. »Das sind Wissenschaftler von der
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