Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
völlig aufgelöste Pensionswirtin ein wenig zu beruhigen und beugte sich über seinen Hund. Ein Schleimfetzen hing Mutter aus dem Maul, und sie machte nur einen äußerst halbherzigen Versuch, sich aufzurappeln. Keine Frage, dem Tier ging es schlecht.
Gabriel strich ihr über den aufgeblähten Bauch und roch an dem Erbrochenen, das neben der Hundedecke lag.
»Was haben Sie ihr nur gegeben?«
»Nur ein paar Wurstreste … und dann hab ich ihm Pansen mitgebracht. Er hat so gebettelt …«
»Wurstreste und was …?«
»Nun hörens doch auf. So ein Pansen hat noch keinem Hund geschadet, der gibt Kraft …«
Gabriel zog an dem vermeintlichen Schleimfetzen, an dem ein Brocken Fleisch hing. »Sie hat die Plastikfolie mitgefressen.«
»Ich war nur fünf Minuten aus der Küche, nur fünf Minuten, ich schwör’s, und auf dem Tisch, da stand …«
»Dieses Mistvieh hat sich überfressen«, bemerkte Gabriel sachkundig, strich dem Hund über die Nase und befühlte die Ohren. Nein, Fieber schien Mutter nicht zu haben.
»Ich dachte, du hättest in deinem vorherigen Leben genug gefressen«, sagte er.
»Vorheriges Leben?«, fragte die Pensionswirtin.
»Der Hund da …«, hob Gabriel an.
»Was ist mit dem?«
»Der war in einem früheren Leben mal meine Mutter.«
Die Wirtin sah ihn entsetzt an und brachte kein Wort heraus.
Gabriel sagte: »Nur noch Wasser, die nächsten Stunden nichts anderes, und wenn sie auf dem Kühlschrank Handstand macht.«
An der Tür verpflichtete er sie noch, ihn sofort anzurufen, falls der Zustand des Hundes sich verschlechterte.
»Verschlechtern?«
»Herrgott, wenn sie Fieber kriegt.«
»Aber wie merkt man denn das?«
»Schieben Sie ihr ein Fieberthermometer hinten rein. Strafe muss sein.«
Da wird sie ihre helle Freude haben, dachte Gabriel ein wenig schadenfroh, schließlich wusste er, wie sensibel Mutter bei dieser Prozedur reagieren konnte.
Als er auf die Straße trat, stürmte Sandra ihm aus einem Taxi entgegen.
»Keine Lust mehr aufs Archiv?«, fragte er.
»Treffer«, sagte Sandra triumphierend und hob ihre Umhängetasche hoch.
»So einfach?«
»Ich hatte Hilfe.«
Sie berichtete von Anselm Kunde, der sich an den verrückten Peter Berkens erinnert hatte.
»›Kloster Embratal‹, hat er gesagt und mich zu einem bestimmten Karton geschoben. Zack, hab ich es in den Händen gehalten.«
»Und von Bedrohungen hat Berkens ihm nichts erzählt?«
»Und seine Frau auch nicht«, sagte Sandra triumphierend.
»Seine Frau?«
»Die gute Friederike Berkens ist auch in der Bibliothek gewesen, sie hat das Buch abfotografiert. Angeblich wollte sie einen historischen Klostergarten nachpflanzen.«
Gabriel dachte nach. Friederike Berkens war also keineswegs so ahnungslos, wie sie sich gab. Sie wusste nicht nur von dem Buch, sondern kannte sogar seinen Inhalt. Und genau der war anscheinend sehr gefragt. Warum sonst war Berkens’ Labor durchsucht worden? Warum sonst würde stän dig ein Detektiv vor dem TÜV -Gelände lauern?
»Und was steht denn nun so Wichtiges drin in diesem Buch?«, fragte Gabriel. »Eine Rezeptur für das Wunderbier?«
»Ich kann es nicht lesen, aber das Kloster, das schon vor mehr als zweihundert Jahren aufgelöst wurde, war berühmt.«
»Was denn nun? Für gutes Bier?«, fragte Gabriel ungeduldig.
»Das auch. Besonders aber für die Langlebigkeit der Mönche, die dort lebten.«
15.
Zum ersten Mal hatten sie eine heiße Spur. Es ging um geheime Brauformeln und um lukrative Geschäfte mit einem geschmackvollen Bier, das auch noch versprach, die Lebens erwartung zu erhöhen. Sie mussten das Tempo steigern. Misstrauisch blickte Gabriel auf das matte Display seines Handys. Hoffentlich rief weder seine Wirtin mit schlechten Nachrichten an noch der Gefängnisdirektor.
Was Mutters Zustand anging, da musste man abwarten; aber bei zwei früheren Fressattacken hatte sie ähnlich reagiert, nur um eine Stunde später putzmunter wieder vor dem Kühlschrank zu stehen. Aber das brauchte die Wirtin ja nicht unbedingt zu wissen. Strafe musste sein. Wurstreste und Pansen! Und Karl Erdhammer hatte hoffentlich jede Menge Glückspillen geschluckt. Der Mann war imstande und ver saute ihm, Gabriel, mit seinem Selbstmord noch seine schöne Zeit als Pensionär.
Der Korruptionsvorwurf gegen ihn war das eine, aber ein Mann, der sich umbrachte, weil er ihn im Verhör zu hart rangenommen hatte? Auf keinen Fall. Gabriel sah den Obdachlosen in seinen Kleiderfetzen schon als Untoten durch
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