Mordshunger
des Tores in Bewegung und schob sich fast geräuschlos in die Hecke. Dahinter wurde eine breite Auffahrt sichtbar, die nach wenigen Metern eine Kurve beschrieb und bei den Garagen endete, während ein Fußweg weiter geradeaus führte.
Und dort, im opalisierenden Dunst aufsteigender Feuchtigkeit, lag die Villa.
Sie war riesig.
Mächtige, gebogene Erker flankierten ein weites Portal, dessen Flügel sich geöffnet hatten und nun gelbes Licht ins Dunkel stäubten. Dem ersten Stock war eine wuchtige Terrasse vorgelagert, darüber wuchs das düstere Gebirge schroffer Giebel in den Himmel. Cüpper fühlte sich an Edgar Allan Poe erinnert.
Wie ein Pinselstrich erschien eine Gestalt im hellen Rechteck der Tür. Als sie näher kamen, trat Cüpper ein kleiner, alter Mann mit der Physiognomie einer tausendjährigen Eiche entgegen. Der weite Morgenmantel und sein pathetischer Gesichtsausdruck verliehen ihm die Aura Alberichs, des Zwergenkönigs. Er zog die linke Braue hoch und sah höflich interessiert von einem zum anderen.
»Guten Morgen, meine Herren. Ihr Erscheinen sprengt den Rahmen des Alltäglichen.«
»Herr … von Barneck?«, fragte Cüpper und wollte es kaum glauben.
In der Ferne rollte schwacher Donner.
»Nein, Herr Kommissar. Ich bin, wenn Sie so wollen, Herr von Barnecks Butler, wenngleich man sich dieser wünschenswerten Tradition in Deutschland nicht sehr oft erfreut. Hätten Sie die Güte, mir zu sagen, worum es geht?«
»Tut mir leid. Das kann ich Herrn von Barneck nur persönlich sagen.«
»Ganz ohne Zweifel. Er wird gleich unten sein. Treten Sie einstweilen näher.«
Cüpper erhaschte einen Blick in eine Bibliothek und etwas, das nach Esszimmer aussah, nur verdammt groß. Im Schacht des Atriums, an dessen Wänden sich die Balustraden des ersten und zweiten Stockwerks erstreckten, ruhte ein ungeheurer Kronleuchter. Der Alte führte sie direkt darunter. Wenn das Ding jetzt fällt, dachte Cüpper, würde man sich über nichts und niemanden mehr Gedanken machen müssen. Alles Böse dieser Welt würde in Kaskaden von Kristall zerstieben. Aber dann könnte er auch nie mehr auf dem Markt nach italienischen Tomaten schnüffeln, nie mehr der Verführung alten Ports erliegen, nie mehr im Rosebud Caipirinha schlürfen und mit wippender Begeisterung den Jazzern lauschen, und vor allem nie mehr einen zweiten Strohhalm zwischen die Limetten stecken für die hübschen Wesen, die Kölns Nacht bevölkerten.
Argwöhnisch äugte er nach oben.
Aus dem Dunkel der angrenzenden Räumlichkeiten kam eine Frau von gewaltigen Ausmaßen geeilt. Der Alte sah sie kommen und verdrehte hilfesuchend die Augen.
»Elli, geh wieder in die Küche. Das sind zwei Herren von der Kriminalpolizei. Sie wollen Herrn von Barneck sprechen, mit deinem Erscheinen dürfte ihnen kaum gedient sein.«
»Red nicht so geschwollen.«
»Elli, bitte.«
»Schmitz«, strahlte sie und schüttelte Cüpper und Rabenhorst die Hände, ehe man sich’s versah. »Der da heißt auch Schmitz. Hast du den Leuten wieder erzählt, du wärst der Butler?«, keifte sie den Alten an. »Hausdiener ist er, wissen Sie, und Chauffeur in einem. Das mit dem Butler hat er aus diesen englischen Romanen, ich sage immer, lies nicht dieses Zeug, wo permanent Leute erschossen werden, das ist nicht gut für dich, wo er doch auch eine Brille tragen müsste, da verdirbt er sich die Augen und beklagt sich.«
»Was tun Sie um diese Zeit noch in der Küche?«, fragte Rabenhorst erstaunt.
Frau Schmitz stemmte die Hände in die Hüften. »Das wüsste ich auch mal gerne. Ich bin ja keine junge Frau mehr. Aber Herr von Barneck hatte heute einen größeren Empfang, Sie wissen schon, jede Menge Töpfe, Pfannen und Geschirr und Gläser. Ich könnt’s ja morgen machen, wäre kein Problem, aber ist der Mensch nicht selbst sein schlimmster Feind? Ich kann einfach keinen Abwasch stehen lassen. Soll Herr von Barneck morgen in die Küche kommen, und alles steht da rum? Ich meine, er kommt selten in die Küche, ich könnte also eigentlich zu Bett gehen. Aber im Krieg, da sind wir alle anspruchslos geworden, da fragt einen keiner, ob man schlafen gehen will, das hat man einszweidrei im Blut, schnell alles wegzumachen, und alte Menschen brauchen eh nicht so viel Schlaf. Was mich betrifft …«
»Sie ist meine Frau«, fiel der Alte ihr ins Wort. »Sie kocht.«
»Und trägt auf!«, rief Frau Schmitz. »Und macht sauber!«
»Senta, ci scusi tanto.« Die Stimme kam von oben.
Cüppers Blick wanderte
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