Mordsidyll
überlegte, ob es angesichts der neuen Entwicklungen nicht besser wäre, sich zu stellen. Auf einmal kam ihr alles absurd und falsch vor. Sie hätte die Tat niemals begehen dürfen! Auch wenn sie Tim Mazcevski erwischt hätte, es wäre Unrecht gewesen.
Anna schaltete gedankenverloren das Radio aus. Plötzlich kam ihr eine Idee. Schnell lief sie in ihr Haus und kramte in der Küche hektisch in ihrer Handtasche, bis sie endlich die CD des Opfers fand. Mit dickem Filzstift stand âºHitsâ¹ auf der silbrigen Oberfläche geschrieben. Anna eilte zurück in den Kuhstall und legte die CD ein. Zwar kam es ihr makaber vor, die Musik des Mannes zu hören, den sie fast umgebracht hatte und um dessen Leben die Ãrzte jetzt vermutlich kämpften, allerdings trieb sie eine unbestimmte Neugierde dazu. Irgendetwas erhoffte sie sich davon. Doch es tat sich nichts  â keine Musik. Anna spulte mehrmals nach vorn, aber kein Laut war zu vernehmen. Achtlos legte sie die Hülle auf den alten Stuhl unter das Radio. Seltsam, dachte Anna, vielleicht war die Scheibe kaputt.
Voller Enttäuschung trottete Anna aus dem Stall. Als sie aus der Tür trat, prallte sie mit jemandem zusammen. Erschrocken wich Anna zurück. Ein Polizist? Ein Freund des Opfers?
Sie blickte ängstlich in das Gesicht und rief erleichtert: »Mensch, Ronald! Du hast mich fast zu Tode erschreckt!«
»Tut mir leid. Und guten Morgen erst mal. Ich war gerade auf der Durchfahrt und habe dir frische Brötchen mitgebracht. Spendierst du einen Kaffee dazu?«
Eigentlich konnte Anna ihren alten Schulkameraden im Augenblick wirklich nicht gebrauchen. Sie war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Andererseits freute sie sich über die Nähe eines vertrauten Menschen. Ronald war ihr ein guter Freund, auf den sie sich immer verlassen konnte.
»Ja, sicher. Ich wollte sowieso gerade Pause machen. Komm, wir gehen in die Küche«, lud sie ihn ein.
»Lange nicht gesehen. Wie geht es dir?«, erkundigte sich Ronald auf dem Weg zum Bauernhaus.
»Geht so.«
»Was heiÃt das? Finanzielle Probleme? Du weiÃt, mein Angebot steht. Ich greife dir unter die Arme und du zahlst es mir erst zurück, wenn du kannst.«
»Ronald, das Thema hatten wir doch schon zigmal. Ich habe immer auf eigenen Beinen gestanden und werde das auch in Zukunft schaffen. Trotzdem danke. Und wie geht es dir?«
»Och, kann nicht klagen. Ehrlich gesagt, ich verdiene mich dumm und dämlich. Das Geschäft läuft sagenhaft.«
Anna schielte nachdenklich zu Ronald hinüber. Hätte sie ihn geheiratet, so wie er es sich immer gewünscht hatte, würde sie heute in Reichtum leben. Immerhin hatte Ronald die Fabrik für Autoteile von seinem Vater geerbt, dem alten Weber, und sie erfolgreich ausgebaut. Er war zu einem wichtigen Zulieferer für die gesamte Branche aufgestiegen. Doch auÃer Freundschaft hegte sie keine Gefühle für ihn. Aber war sie sich da noch so sicher? Immerhin sehnte sie sich nach einer starken Schulter. Was sollte daran auch verkehrt sein, viele ihrer Schulfreundinnen hatten letztlich nicht ihre leidenschaftliche Liebe geheiratet, sondern den treuherzigen Kumpeltyp, der immer ein offenes Ohr hatte. Beharrlichkeit konnte sich auszahlen.
In der Küche stellte Anna Butter, Käse und Wurst auf den Tisch. Ronald belegte sich ein Brötchen und biss hungrig hinein. Mit vollem Mund murmelte er: »Deine Küche hat es aber auch mal nötig.«
»Ronald!«, ermahnte ihn Anna und goss jedem eine heiÃe Tasse Kaffee ein. »Wie läuft es bei dir zu Hause? Was macht die Ehe?«
Er rollte mit den Augen. »Wie soll es gehen? Nadine und ich leben nebeneinander her. Sie führt ein Jetset-Leben, als wäre ich mehrfacher Millionär.«
»Schlimm?«
»Schlimmer«, winkte Ronald ab. »Diese Gleichgültigkeit und Verschwendungssucht! Ich sehe sie kaum noch, dafür lese ich umso häufiger in den Prominentenzeitschriften über sie. Auf welcher Party sie war, welches neue Designerkleid sie getragen hat  â und mit welchem Mann sie aktuell zusammen ist. Die meisten sind 20 Jahre jünger als sie. Ihr ausschweifender Lebensstil wird immer mehr zur Belastung. Die Eskapaden bleiben meinen Geschäftspartner nicht verborgen!«
»Und welche Konsequenz ziehst du daraus?« Anna biss sich auf die Lippen. Das war wieder mal typisch für sie. Mit
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