Mordsidyll
StraÃe sieht! Das ist doch auffällig, oder?«
Viktor blickte an seinen zwei Handlangern hinunter. Beide trugen weiÃen Tennissocken, deren Leuchtkraft bei der dunklen Kleidung und dem trüben Tag nicht zu übertreffen war. Er gab Roman seine Sandalen und Alexej seine Badelatschen.
»Aber zurückgeben!«, ermahnte er sie. »Und jetzt verpisst euch und wartet auf meine Befehle!«
Mit Nachdruck schob Viktor seine Gäste durch die Wohnungstür und schlug sie hinter ihnen zu.
Alexej und Roman schauten sich ratlos an und stiegen schweigend die Treppe hinab. Vor dem Haus blieb Roman stehen und betrachtete seine FüÃe, deren Zehen über die Sandalen hinausragten. Er vermisste seine Designerschuhe jetzt schon.
»Viktor fehlt wirklich der Sinn für modische Kleidung. Immer diese peinlichen No-Name-Sachen. Der ist doch auch erst 24!«, stellte Roman fest. »Glaubst du, Viktor wird ein guter Boss?«, fragte er, bevor er in den BMW einstieg.
»Immerhin hat er die Geschäfte bis jetzt zuverlässig geführt. Und Boss ist Boss. Das haben wir nicht zu entscheiden«, antwortete Alexej und trat mit einem Badelatschen auf die Kupplung.
Kapitel 3
22. April
Es wollte einfach nicht Frühling werden. Ein feiner Morgennebel umhüllte die Hügel rund um den Hof. Seufzend blickte Anna aus dem Küchenfenster. Ihr kam es vor, als seien ihre Gedanken ebenso getrübt wie der Himmel, als betrachte sie ihre Tat aus einer Distanz. Natürlich spürte sie etwas wie Reue und Entsetzen, aber die Geschehnisse erschütterten seltsamerweise nicht ihr Innerstes. Sie verspürte vor allem Ãrger. Die ganze Nacht hatte sie wach gelegen und sich Vorwürfe gemacht, den entlassenen Häftling nicht genauer betrachtet zu haben. Wie hatte sie nur einen wildfremden Menschen erstechen können? Die Zeitungsausschnitte von dem Prozess hatte sie doch aufbewahrt, sie hätte vorher nur einen Blick auf die Fotos werfen müssen! Jetzt war es zu spät! Sie war eine Mörderin. Aber wollte sie wirklich dafür büÃen? Würde das etwas ändern?
Nicht einmal die Hofarbeit konnte sie von diesem Gedanken ablenken. Anna merkte beim Melken, wie unkonzentriert sie war. Sie war nicht imstande, die Ereignisse zu verdrängen. Die Bilder der Tat schossen ihr immer wieder mit solch einer Intensität durch den Kopf, dass es ihr fast schwarz vor Augen wurde. Ständig überlegte sie, ob sie sich der Polizei stellen sollte. Würde es ihr Gewissen erleichtern? Und war man ihr nicht sowieso schon auf den Fersen? Immerhin hatte sie bei ihrer Flucht die Tatwaffe am Tatort zurückgelassen. Wie hatte sie nur so dumm sein können, das Jagdmesser zu benutzen, das Klaus von seinem Vater geerbt hatte! Bei solch einem seltenen Stück konnte man bestimmt die Spur zurückverfolgen.
Verzweifelt setzte Anna sich auf den Melkschemel, ein Ãberbleibsel aus nostalgischen Zeiten, und lieà ihren Tränen freien Lauf. »Kennst mich in letzter Zeit nur mit verheultem Gesicht, was?« Sie tätschelte die Flanke von Pa-tricia Cornwell, die ihr Haupt hob und Anna mit treuen Kuhaugen anblickte.
Anna schaute auf die Uhr. Gleich halb acht, es war Zeit für die Lokalnachrichten, vielleicht erfuhr sie da etwas Neues. In der Zeitung hatte noch nichts über ihren Mord gestanden. Sie schaltete das groÃe Radio ein, das im Melkkarussell an einer Stange an einem Metallhaken hing. Manchmal spielte sie damit auch eine CD ab. Sie hatte gehört, dass Kühe durch Beschallung mehr Milch geben würden, doch nach einigen Versuchen festgestellt, dass ihre Schriftstellerinnen weder auf Klassik noch auf Pop reagierten. Aber immerhin brachte die Musik etwas Abwechslung in ihren straff organisierten Tagesablauf.
Geduldig lauschte Anna der Werbung und wartete gespannt, als der Nachrichtensprecher schlieÃlich seine Zuhörer begrüÃte. Gleich die erste Meldung handelte von ihrer Tat. Sie erstarrte. Laut Bericht war vor der Justizvollzugsanstalt âºEwigâ¹ ein entlassener Sträfling niedergestochen worden. Der Mann liege noch im Koma und die Polizei wolle aus Ermittlungsgründen keine weiteren Informationen preisgeben.
Anna spürte, wie mit einem Mal eine Last von ihren Schultern genommen wurde. Gleichzeitig stieg Nervosität in ihr hoch. Hoffentlich würde er überleben! Und wie weit waren die Ermittlungen? War man ihr bereits auf die Schliche gekommen? Anna
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