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Mordsidyll

Mordsidyll

Titel: Mordsidyll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Zandecki
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abholen? Kennen Sie ihn?«
    Â»Neufeld? Nein, der Name sagt mir nichts.«
    Â»Können Sie mir denn bitte sagen, wer Sie abholen wollte?«
    Wassiljew schwieg eine Weile. Schließlich erwiderte er: »Ich kann mich nicht erinnern.«
    Â»Was soll das heißen, Sie können sich nicht erinnern?«
    Â»Keine Namen! Ich kann mich an keinen Namen erinnern! Das gibt es doch gar nicht! … Ich selbst bin Boris Wassiljew, aber ich weiß nicht mehr, wie meine Eltern heißen.« Er begann lautstark zu stöhnen.
    Â»Ich glaube, wir brechen hier ab«, mischte sich die Ärztin ein. »Herr Wassiljew hat offensichtlich Schäden davongetragen. Es ist immer ein Schock, wenn man die Lücken bemerkt.«
    Â»Ja, selbstverständlich«, pflichtete Ruste widerwillig bei. Er wandte sich zum Gehen. »Ach, können Sie mir sagen, wo die junge Frau mit dem abgetrennten Finger liegt? Das ist mein nächster Fall.«
    Die Ärztin rief Schwester Barbara, die ihn zur Chirurgie begleitete. Glücklicherweise schwieg sie, während sie durch die verlassenen Gänge des Krankenhauses gingen. Ruste stand nicht der Sinn nach Small Talk. Er war stinkwütend. Dieser Fall war wie verhext! Kaum tat sich eine Spur auf, endete sie nach kurzer Zeit in einer Sackgasse. Es war, als ob ihm das Schicksal eine lange Nase drehte. Auch hatte er keine große Hoffnung, dass das Mädchen ihn irgendwie weiterbringen würde. Das war doch nur ein weiterer verrückter Fall, der ihm bestimmt Ärger einbringen würde. Mordversuch mit einem Nazimesser, türkisches Mädchen mit abgetrenntem Finger, entführter Schützenvogel – was für eine glorreiche Ausbeute in den letzten drei Tagen! Ruste hatte das Gefühl, er sei der einzig Normale in einer Welt voller Irrer.
    Auf der Station lieferte die Schwester Ruste bei Doktor Sommerscheidt ab, ein sportlich aussehender Arzt, der in einem grünen OP-Kittel steckte. Nachdem sie sich begrüßt hatten, führte ihn der Arzt direkt zum Krankenzimmer der jungen Frau.
    Â»Ein uniformierter Kollege von Ihnen ist seit einer Weile bei Frau Cengiz. Und ein türkischer Bekannter, den sie angerufen hat«, erklärte Doktor Sommerscheidt und blieb vor der Tür stehen.
    Â»Kann man sie vernehmen? Und welche Verletzungen weist sie denn genau auf?«, erkundigte sich Ruste.
    Der Arzt lächelte ihn trotz der späten Stunde milde an. »Die Patientin hat die OP gut überstanden und ist stabil. Nun, was ist vorgefallen? Sie stand heute Nachmittag bei uns in der Empfangshalle mit dem abgetrennten Finger in einer Plastiktüte, gekühlt von einer eiskalten Wodkaflasche. Ihre Hand war notdürftig verbunden. Die Verletzung könnte von einer Schneidpresse stammen. Wir hatten schon ähnliche Fälle bei Arbeitern aus den umliegenden Betrieben, doch es ist ungewöhnlich, dass der Schnitt nicht sauber und zudem nur der Ringfinger betroffen war. Wir konnten ihn annähen, allerdings nicht alle Nervenbahnen wiederherstellen. Er wird wahrscheinlich taub und unbeweglich bleiben. Wenn wir Pech haben, hängt er sogar leblos herunter. Aber immerhin. Die Frau hat keine Angaben gemacht. Sie hat kein Wort verloren, weder zu ihrer Person noch wie es zu ihrer Verletzung kam. Wir haben dann direkt nach der OP die Polizei verständigt. Es hätte ja auch im ersten Moment der Schock sein können. Aber sie ist wohl der deutschen Sprache nicht mächtig und hat, nachdem sie aus der Narkose aufgewacht ist, uns nur Zeichen gegeben, jemanden anrufen zu wollen. Tja, und jetzt ist dort im Zimmer ein junger Mann, laut Ihrem Kollegen ihr Verlobter, der ebenso wenig gesprächig wie sie ist.«
    Ruste zog die Augenbrauen hoch. Sollte er auf einmal Glück haben? Der Mann hatte ihm innerhalb von drei Minuten alles Wichtige erzählt. Und dann wurde ihm auch noch der Mafiaboss aus Köln auf dem Silbertablett serviert! Wäre doch alles so einfach!
    Ruste betrat wortlos das Zimmer. Im Bett lag eine hübsche Frau mit dunkelbraunen Augen, deren schwarzes Haar trotz der Strapazen glänzte. Sie schaute Ruste traurig an und senkte dann ihren Blick auf ihre dick bandagierte Hand. Direkt neben ihr stand ein drahtiger, junger Mann mit welligen Haaren und bemerkenswert hellen blauen Augen. Das war also Mustafa Arslan. Ruste kannte seinen Namen aus den Akten. Immer wieder war er als Verdächtiger aufgetaucht, doch bisher konnte man ihm nichts

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