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Mordsidyll

Mordsidyll

Titel: Mordsidyll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Zandecki
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Sie einfach mal von vorne an.«
    Stumm blickte Anna ihn an. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er sie wieder siezte. Vielleicht war es ein unbewusstes Zeichen dafür, dass sich die Distanz zwischen ihnen vergrößerte.
    Â»Nun gut«, begann Anna schließlich zögerlich. »Wenn man plötzlich einen geliebten Menschen verliert, fühlt man sich wie ein Goldfisch, der allein in einem Aquarium seine Bahnen zieht. Man nimmt zwar alles wahr, aber nichts kann zu einem vordringen. Es ist wie in einem einsamen Kerker. So ging es mir. Ich dachte, der einzige Weg, zurück ins Leben zu finden, ist der, die Scheibe um mich herum zu zerstören. Und diese Scheibe warst du, Tim. Ich sage es direkt und ehrlich heraus: Ich habe dich gehasst. Ich hab dich gehasst, weil du mir das Liebste genommen hast. Es war wie ein Schlag ins Gesicht, als ich aus deinem Brief von dem bevorstehenden Ende deiner Haft erfuhr. Ich wollte Rache und dachte, selbst für Gerechtigkeit sorgen zu müssen. Daher habe ich beschlossen, dich am Tag deiner Entlassung zu töten. Ich dachte wirklich, wenn du tot wärst, könnte ich wieder ein normales Leben führen.«
    Tim schluckte. Er starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Uff … Das ist ziemlich hart. Das muss ich erst mal verdauen.« Nach einer kurzen Pause blickte er sie argwöhnisch an. »Aber ich habe Ihnen doch geholfen. Ich habe mein Leben für Sie riskiert! Und wie soll ich heute beruhigt mit Ihnen unter einem Dach schlafen? Haben Sie immer noch Mordgedanken?«
    Â»Nein, nein!« Anna schüttelte energisch den Kopf. »Das ist vorbei! Ich habe den Fehler gemacht, alles in deine Person zu projizieren. Doch letztendlich war ich diejenige, die sich nicht mit der Realität abfinden konnte. Ich bin nicht damit klargekommen. Du warst … Ich kann es dir nicht beschreiben. Du warst eben das Aquariumglas, das ich zerschlagen musste. Und dann habe ich etwas Schreckliches getan.«
    Anna seufzte. Sie nahm einen Schluck warmen Tee, bevor sie Tim die Geschichte von Anfang an erzählte. Von ihrem Anschlag auf den Falschen vor der JVA und von dem nächtlichen Einbruch. Von dem Boxergesicht, der sie wegen der CD bedroht hatte und nun tot im Güllebecken lag. »Tja, und die letzte Attacke hast du ja selbst miterlebt«, schloss sie ihren Bericht. »Ich habe keine Ahnung, wer diese Männer sind und was sie wollen. Es muss aber mit meiner Tat zusammenhängen.«
    Tim schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann habe ich es einem reinen Zufall zu verdanken, dass ich hier lebend sitze? Ich fasse es nicht!«
    Â»Ich habe mich an dem Falschen gerächt und meine Rache war falsch«, erwiderte Anna mit zittriger Stimme. »Es tut mir alles unendlich leid. Dieses Mal bin ich diejenige, die um Verzeihung bitten muss …« Sie merkte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, und sah auf ihre Tasse, die sie fest umklammerte.
    Tim lachte bitter. »Um ein Haar hätten mich dann auch noch diese finsteren Typen umgebracht. Muss wohl mein Karma sein, was? Ich komme mir vor wie in einem schlechten Film. Das ist doch ein übler Scherz …«
    Â»Nein, leider ist das die bitterernste Realität«, gab Anna leise zurück. »Es gibt sowohl für mein Vorhaben als auch für die Tat keine Entschuldigung. Das weiß ich. Allerdings ist in den letzten Tagen so viel passiert, dass ich gar nicht richtig darüber nachdenken konnte. Ich weiß nicht, was ich tun soll … Ich weiß nur, dass du die Wahrheit verdienst, nach all dem, was du für mich getan hast. Und es wäre wohl besser, wenn du gehst, bevor ich dich in noch größere Gefahr bringe. Bestimmt ist es das Vernünftigste, wenn ich jetzt die Polizei informiere und alles gestehe.«
    Tim verharrte regungslos auf seinem Stuhl und starrte auf die Tischplatte. Anna wischte sich die Tränen von den Wangen. Nachdem sie sich eine Weile stumm gegenüber gesessen hatte, stand sie auf und ging zur Küchenzeile, um mit etwas kaltem Wasser ihr Gesicht zu kühlen.
    Â»Weißt du was?«, sagte Tim plötzlich hinter hier.
    Anna registrierte sofort, dass er sie geduzt hatte. Hatte sie durch ihr Geständnis und ihre Ehrlichkeit sein Vertrauen zurückgewinnen können?
    Sie wandte sich ihm zu und lächelte ihn an. »Was?«
    Â»Ich trinke eigentlich nie Alkohol, doch jetzt könnte ich einen Schnaps vertragen. Dein Freund hat

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