Mordskerle (German Edition)
einmal mehr siegte. „Ich war nie eine gute Hausfrau.“
„Immerhin warst du eine gute Gastgeberin“, erinnerte sich Lena und verschwand mit dem Tablett, um noch ein Gedeck für Rosie Valendiek zu holen. Als sie auf die Terrasse zurückkehrte, rauchte Annelie schon die zweite Zigarette, hatte sich Kaffee – schwarz wie die Nacht – eingeschenkt und sah dabei zu, wie Lena den Sonnenschirm aufspannte, sah auch zu, wie Lena das dritte Gedeck auslegte, sah noch immer zu, als Lena sich selbst Tee eingoss, und stellte dann plötzlich fest:
„Weißt du was, Lena? Du solltest heiraten. Wie du das mit dem Frühstück immer machst und ´rum läufst und sorgst und tust… also, da hast du nicht von mir. So bist du einfach angelegt, denke ich. Und ich finde, damit ausgestattet, sollte eine Frau so bald wie möglich heiraten.“
Lena verzog ironisch den Mund. „Um dich so bald wie möglich zur Großmutter zu machen? Und deinen Enkelkindern so früh wie möglich die Liste deiner jugendlichen Liebhaber zu präsentieren?“
„Dass du immer so nachtragend sein musst“, tadelte ihre Mutter, während sie ein weiteres Mal nach der Kaffeekanne griff. Als sie den Blick hob, schob sie ihre Sonnenbrille ins Haar, um dann lakonisch festzustellen:
„Da kommt Rosie. Tapferes Mädchen, die Rosie, aber natürlich beim falschen Mann gelandet. Valendiek senior versteht sich am besten darauf, Rosie ein Kind nach dem anderen zu machen. Wie er die Kinderschar satt kriegt, war danach nie mehr sein Problem. Vale – Tim, meine ich – ist in Ordnung, der reißt sich für seine Mutter in Stücke, aber diese Welt verändern kann er natürlich auch nicht…“
Ihre Stimme war leiser geworden, die Worte kamen immer langsamer über ihre Lippen, während sie der Besucherin ungewöhnlich besorgt entgegen blickte.
Rosie Valendiek war so klein und schmal, dass man sie von weitem leicht für ein halbwüchsiges Mädchen hätte halten können. Doch je näher sie kam, desto weniger Zweifel gab es an ihrem Alter, ihrem Leben.
Lena erschrak dann auch, als Rosie die Terrasse betrat. Sie erinnerte sich nicht, jemals einem so dünnen, erschöpften Menschen begegnet zu sein. Es gab keinen Zweifel, dass Rosie Valendiek am Ende ihrer Kräfte angekommen war. Obendrein hochgradig anämisch, diagnostizierte Lena in Gedanken, während Annelie in der für sie typischen offenen, manchmal ziemlich schonungslosen Art feststellte:
„Mein Gott, Rosie, Sie sehen ja grauenhaft aus.“
Da fing Rosie Valendiek an zu weinen, noch ehe sie sich hinsetzen konnte, und ihr kindliches, dünnes Weinen weckte in Lena eine solche Betroffenheit, dass sie beinahe selbst in Tränen ausgebrochen wäre.
„Sie haben ihn wieder abgeholt“, stieß Rosie irgendwann hervor, nachdem sie sich endlich beruhigt hatte. „Sie hatten ihn schon vierundzwanzig Stunden zum Verhör da behalten, danach durfte er nach Hause. Aber vorhin haben sie ihn wieder abgeholt. Sie sagen, es gibt noch ein paar Lücken in seiner Geschichte.“
„Das ist doch völliger Quatsch!“, regte Annelie sich auf, während sie Rosie erneut Kaffee einschenkte. „Der Vale und ein Mörder? So blöd kann nur die Polizei sein. Fahrraddieb, okay, das ist ihm zuzutrauen, aber jemand im Park totschlagen? Also, wenn die Bullen das glauben, dann ist ihnen nicht zu helfen!“
Das war typisch ihre Mutter, stellte Lena resigniert fest. Immer vorwärts stürmend, gleichgültig, wieviel Porzellan sie dabei zerschlug. Sie besaß einen stark ausgeprägten und eigentlich löblichen Gerechtigkeitssinn, reagierte in Situation wie dieser allerdings meistens zu heftig und selten nachvollziehbar für ihre Mitmenschen.
Lena war schon von ihrem Naturell her zurückhaltender. Sie lehnte sich zurück, während ihr Blick zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen hin und her flog. Rosie Valendiek war mindestens zehn Jahre jünger als Annelie, wirkte aber mindestens ebenso viele Jahre älter.
Vier Kinder hatte sie geboren, das kostete Kraft, ahnte Lena. Aber weitaus mehr strengte es Rosie höchstwahrscheinlich an, aus dem Leben mit ihrer Familie nicht weg zu laufen und dort auszuharren, wo – wie sie meinte –„ihr Platz“ war und so „ihre Pflicht“ zu tun, auch, was ihren Ehemann betraf.
Lena kannte Rosies Mann nicht, doch sie besaß Fantasie genug, sich vorzustellen, was der unter dieser Pflicht verstand.
Ach, die Rosies dieser Welt waren nicht stark genug, um den Kampf des Lebens und Überlebens jeden Tag erneut auf sich
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