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Mordskerle (German Edition)

Mordskerle (German Edition)

Titel: Mordskerle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Schley
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seltene Augenblick, da Annelie irgendeinen Halt brauchte. Sie griff nach Sofies Hand wie nach einem Rettungsanker, um sich daran fest zu klammern.
    Irgendwann stammelte sie: „Sofie, komm, wir müssen fahren, sonst verpassen wir unseren Flug…“
    Da kam ein Laut über Sofies Lippen, der Annelies Atem ein letztes Mal stocken ließ. Sie wandte sich der Freundin zu, um sprachlos zu erkennen, dass Tränen über Sofies Wangen rannen, die keine Tränen der Trauer waren. Sofie, diese neue, ganz andere Sofie stand da und lachte.
    Es war ein unglaublicher, ein unfassbarer Augenblick. Die Witwe, die am Grabe ihres Mannes Tränen lachte.
    Annelie musste sich erst kräftig räuspern, ehe sie sprechen konnte. „Sofie“, sagte sie dann mit rauer Stimme, „Sofie, mir graut vor dir.“
    Die Freundin strich liebevoll über Annelies Wange.
    „Und du hast recht damit“, meinte sie heiter, drehte sich um und strebte in ihrem pinkfarbenen Kleid dem Friedhofstor zu, ohne sich noch ein einziges Mal umzuschauen.

Epilog
    A ls der Sommer sich seinem Ende zuneigte, kam die Frau eines Mittags aus dem Zimmer ihres toten Sohnes, schloss die Tür hinter sich ab und versenkte den Schlüssel im Vorbeigehen in einer leeren Vase, die auf einer Kommode stand.
    Dann schritt sie die Treppe zur Diele hinunter, wo ihre älteste Tochter vor dem Spiegel stand und versuchte, ihr blond gefärbtes Haar mit einem roten Seidenband zu umwickeln.
    Die Arme der Tochter sanken herab, als die Mutter hinter sie trat. Ihre Blicke begegneten sich im Spiegel, die Lippen des Mädchens zitterten leicht.
    Komm, sagte die Mutter sanft, lass mich dein Haar bürsten.
    Die Tochter atmete tief. Sie reichte der Mutter die Bürste und das Seidenband, und wortlos begann die Frau, ihrer Ältesten das Band ins Haar zu flechten.
    Manchmal trafen sich ihre Blicke im Spiegel, dann lächelten sie nicht, sie sprachen auch nicht, aber sie ahnten beide, dass in diesem Augenblick ein anderes Leben anfing.
    Das Leben nach Metins Tod.
    Es geschah auch am Ende dieses Sommers, dass der Junge Tim Valendiek losging, um den kleinen Elefanten zu verkaufen, der eigentlich ein Feuerzeug war und den Annelie Klüver ihm geschenkt hatte.
    Zwar betrog ihn der Juwelier, der ihm das Feuerzeug abkaufte, um ein Beträchtliches, doch war das, was übrig blieb, für Tim immer noch sehr viel. Nie zuvor hatte er soviel Geld besessen.
    Er kaufte sich einige teure Kleidungsstücke und drei Paar Schuhe. Danach war er immer noch reich. Doch er kehrte mit seinem neuen Reichtum nicht zu seinen früheren Freunden auf die Rathaustreppe zurück, sondern löste eine Fahrkarte nach Berlin.
    Tim Valendiek verließ die kleine Stadt an der Ostsee. Er hatte sowieso nie gewusst, was er da sollte und welchen Sinn das Leben dort für ihn hatte.
    Bis auf Rosie, seine Mutter, vermisste ihn keiner und keiner fragte nach ihm.
    „Vale“ hatten sie ihn immer nur genannt.
    Vale, der mal das Fahrrad des Bürgermeisters geklaut hatte und dabei eine Leiche fand…
    Tim Valendiek kam nie zurück.
    Zwei Jahre später erzählten Frauen, die mit der Arbeiterwohlfahrt eine Busfahrt nach Berlin gemacht hatten – Berliner Baustellen-Tourismus nannte man das damals – dass sie Tim am Bahnhof Zoo gesehen hätten, wo er mit anderen Strichjungen herum lungerte.

    - ENDE -

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