Mordskerle (German Edition)
peinlich aufgeräumte Bett, sondern vielmehr der seltsame süßliche Geruch, der in der Luft hing. Noch ehe sie ihrer Verwunderung darüber Ausdruck verleihen konnte, sagte Annelie Achsel zuckend, während sie den Telefonhörer auflegte:
„Das ist das Zeug, das er raucht.“
Lena verschlug es ein weiteres Mal die Sprache. Sie starrte Annelie sekundenlang stumm an, dann fragte sie, gewissermaßen gleichzeitig um Fassung und nach Atem ringend: „Du meinst… Du willst damit andeuten, er raucht - Marihuana?“
„Ach nein, das eigentlich nicht“, Annelie lächelte flüchtig. „Oder jedenfalls eher selten. Es ist Haschisch. Möchte wissen, woher er das immer kriegt. Ich dachte, es sei eigentlich verboten.“
„Ist es auch“, grollte Lena. „Wenn man damit handelt. Also Geschäfte damit macht. Das nennt man dealen, Mutter.“
„Tatsächlich?“ Annelie konnte manchmal von einer Naivität sein, die ihrer Tochter Tränen in die Augen trieb. Nun fuhr sie nicht allzu beeindruckt fort: „Ahnte ich es doch. Ich werde das nächste Mal ein ernstes Wort mit dem Jungen reden müssen.“
„Rauchst du es etwa auch?“, zeigte Lena sich entrüstet.
Annelie winkte ab. „Ach was. Ich kann mich damit nicht anfreunden. Mir wird immer nur schlecht davon und deshalb lass´ ich es lieber. – Rosie hat vorhin angerufen. Sie kommt gleich vorbei. Ich hab´ sie zum Frühstück eingeladen.“
„Welche Rosie?“ Lena staunte einmal mehr über Annelies Art, alle möglichen Leute schon morgens zum Frühstück willkommen zu heißen. Sie selbst war, was Gastfreundschaft betraf, zurückhaltender. Gäste waren ihr abends lieber als früh morgens. Beim Frühstück ertrug sie kaum jemand als Gegenüber, Annelie eingeschlossen.
„Rosie Valendiek. Du erinnerst doch an sie, oder?“
Das tat Lena zwar nicht, dennoch nickte sie sicherheitshalber hastig, weil ein Kopfschütteln unweigerlich zur Folge gehabt hätte, dass Annelie ihr die gesamte Lebensgeschichte jener Rosie bis ins letzte Detail erzählt hätte und das innerhalb der nächsten fünf Minuten.
„Eigentlich hatte ich auf Vale gewartet… Auf Tim, meine ich“, fügte Annelie vorwurfsvoll hinzu. „Er hatte versprochen, mir im Garten zu helfen und geschworen, dass er pünktlich sein würde. Aber jetzt ist er schon wieder
überfällig. Tim ist Rosies Sohn“, erklärte sie nachsichtig, die Verwirrung in Lenas Blick richtig deutend. „Ungefähr Achtzehn oder so. Ein netter Bursche. Nein, ich habe nicht mit ihm geschlafen, wenn es das ist, was dein schockierter Gesichtsausdruck bedeutet! Meine Männer sind zwar jung, aber so jung nun auch wieder nicht. Vale ist arbeitslos. Einer von den Jungs, die keinen Job finden, egal, was sie auch anstellen“, schloss sie empört.
Es war befremdlich, fand Lena, ausgerechnet Annelie, die im Geld nur so schwamm, solche Sätze sagen zu hören. Annelie wälzte sich im Luxus, von allem gab es reichlich, vor allem von Dingen, die kein Mensch wirklich im Leben brauchte.
Zum Beispiel existierte da ein goldenes Feuerzeug in Form eines Elefanten, das Annelie immer benutzte. Lena wusste, dass die Augen des Elefanten lupenreine Edelsteine waren. Ob der arbeitslose Tim Valendiek wohl jemals für möglich halten würde, dass es Menschen gab, die so etwas benutzten?
Dieses Feuerzeug war nur einer von zahllosen Gegenständen, die im Haus herum lagen, beim Staubwischen von der Putzfrau ziellos hin und her geschoben wurden – silberne Pokale, Hand geschliffene Weinkelche, alte wertvolle Bücher mit Goldschnitt, in die niemand jemals auch nur einen Blick geworfen hatte, Annelie schon gar nicht – und deren Sinn sich Lena nie erschlossen hatte.
Annelie, groß, sehr schlank, das lange schwarze Haar zu einem Zopf geflochten, machte sich wahrscheinlich niemals Gedanken darüber, schon gar nicht wegen des kostbaren Feuerzeugs, nach dem sie gerade griff, um sich die erste Zigarette des Tages noch vor dem Frühstück anzuzünden.
Lena verkniff sich die obligate Bemerkung über Raucher, die es vorzogen, auf Essen und Trinken zu verzichten, niemals jedoch auf Nikotin. Stattdessen begann sie, den Tisch auf der Terrasse zu decken.
Annelie half da und dort, allerdings war sie meistens nur im Weg, sodass Lena sie schließlich aufforderte, sich endlich hin zu setzen, um größeren Schaden zu verhindern.
„Ich weiß, ich weiß“, seufzte ihre Mutter daraufhin in geheuchelter Bekümmertheit, in Wirklichkeit jedoch erleichtert, dass ihre altbewährte Taktik
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