Mordskerle (German Edition)
ihn von Sofies Seite fort. Zehn Tage nach dem Abflug in die bereits erwähnten zweiten Flitterwochen kehrte er in einem Zinksarg an Bord eines Flugzeugs zurück, und Sofie, die dem Sarg ganz in Schwarz mit gesenktem Kopf folgte, war auf einmal Bernhards Witwe.
Der neue Anfang war das Ende gewesen.
Bernhards Ende.
Doch das war gleichzeitig auch ein Anfang. Das konnte Sylvia jedoch in diesem Augenblick noch nicht wissen.
Annelie bewegten ähnliche Gedanken, während sie, das Gesicht ebenfalls hinter dem Schleier eines kleinen schwarzen Hutes versteckt, ihren Blick wandern ließ. Die Schar der Trauergäste war tatsächlich beeindruckend. Sofie zu erkennen, fiel dennoch nicht schwer. Sie hatte sich in all den Jahren nicht im Geringsten verändert, fand Annelie.
Rechts von Sofie stand ihre Tochter Inken, links Inkens Ehemann, den Annelie aber nur im Profil sehen konnte und der einen so schlecht sitzenden Anzug trug, dass Annelie sofort jegliches Interesse an dem jungen Mann verlor.
Hinter den trauernden Hinterbliebenen erkannte sie jetzt Sylvia Herzig, Sofies beste Freundin, die nie geheiratet hatte, was in Annelie schon vor einer Ewigkeit den Verdacht geweckt hatte, dass Sylvia nur Sofie liebte und sonst niemand.
Doch das waren hier am Grabe von Bernhard Beer gänzlich unpassende Gedanken. Warum konnte Annelie ausgerechnet in solchen Situationen ihre Fantasie kaum bändigen?
Nun trat eine Abordnung von Bernhards Angestellten an das Grab, um Blumen und Kränze abzulegen und kurz innere Einkehr zu halten. Im Hintergrund spielte die Werkskapelle einen Choral, den Annelie nur mit Mühe als „Näher, mein Gott, zu Dir“ identifizierte, während irgendjemand jedes Mal laut aufschluchzte, sobald die Musikanten sekundenlang innehielten.
Annelie zwang ihren Blick zu Bernhard Beers trauernder Familie zurück. Sofie, seine Gattin, rechts und links von ihrer Tochter und deren Ehemann gestützt…
Plötzlich, als diese Drei sich absolut synchron, als hätten sie es einstudiert, mit einer kleinen Drehung den Trauergästen zuwandten, die hastig kondolierten, stieg Annelie hinter dem schwarzen Schleier ihres Hutes die Röte ins Gesicht.
Sofie Beers Schwiegersohn stand jetzt so, dass Annelie ihn problemlos von vorne sehen konnte. Sie erkannte ihn ohne jede Mühe, obwohl inzwischen einige Zeit vergangen war. Es war Axel. Axel Lentz. Ein Mordskerl! erinnerte Annelie sich in leiser Wehmut. Sie hatte einst in ihrem Ferienhaus an der Westküste einige Nächte mit ihm verbracht. Zwar erinnerte sie sich nicht mehr, wo sie ihn eigentlich kennen gelernt hatte, aber dass sie ihn kannte und zwar sehr gut und intensiv, daran gab es keinen Zweifel.
In diesem Moment dankte sie ihrer Eingebung, zu Bernhard Beers Beerdigung einen Hut mit Schleier zu tragen. Sie, die sonst nie mit Hut auftrat, hatte heute gut daran getan, mit dieser Gepflogenheit zu brechen. In Axels, aber auch in Inkens Interesse – und in ihrem eigenen - fügte Annelie in Gedanken hinzu, während sie kaum hörbar seufzte.
Eine halbe Stunde später hatte sich die Trauergemeinde aufgelöst. Sylvia nahm es kaum wahr. Seltsam, als jetzt ein leichter, frühsommerlicher Wind über den Ohlsdorfer Friedhof strich, befanden nur sich noch sie und Sofie am Grab. Sofies schwarzer Schleier wehte. Sylvia fand, dass sie sich erstaunlich gut hielt, war sie doch eigentlich viel zu zart und zu anfällig für so dramatische Situationen…
Der Sarg, auf den sie eben noch eine Hand voll Sand hatte rieseln lassen, war mit Blumen aus Sofies großem Garten geschmückt, erkannte Sylvia. Es hätte sie nicht gewundert, wenn sich plötzlich Singvögel aus dieser Blumenpracht gelöst hätten, um sich in den Baumkronen ringsum nieder zu lassen.
Ach ja, atmete Silvia ein weiteres Mal wehmütig auf, es war wohl das gewesen, was man im Allgemeinen ein schönes Begräbnis nannte. Sie trat näher an das Grab heran, und da geschah allerdings etwas so Unerwartetes, dass ihr Atem stockte: Sie meinte, Bernhards Stimme, sein Lachen zu hören.
In diesem Augenblick schlug Sofie den schwarzen Schleier zurück. „Es ist vorbei“, sagte sie halblaut zu sich selber, und dann setzte sie sich mitten hinein in die Blumen, die sich auf dem Grab häuften und es zudeckten. Sofie schloss die Augen, während sie irgendeine Melodie summte, die mit dem traurigen Choral der Werkskapelle nichts gemeinsam hatte, sondern eher an den einstigen Discoschlager „Fly, Robin, fly“ erinnerte.
„Ein schöner, großer Garten,
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