Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
damals, als der Mann so schnell wegging, und dann das mit dem Kind, alles irgendwie seltsam …«
Doris’ mühsam errungener, untadeliger Ruf, dachte Paula und lachte kurz auf, alles beim Teufel, auf einen Schlag. Du kannst ein Leben wie ein Erzengel führen, einmal danebengegriffen, und schon ist alles vorbei.
Simon bekam von nichts etwas mit. Er war an diesem Nachmittag bei Karin Brauns Tochter Laura zum Spielen und durfte heute sogar dort übernachten, da Paula zur Probe mußte. Meine Zwangsbabysitterin bin ich ja nun los, dachte sie und ertappte sich, wie sie vergnügt vor sich hin summte, denn eben war ihr der erlösende Gedanke gekommen, daß mit Doris’ Verhaftung auch das Problem Vito erledigt wäre. Wer würde schon einer Mörderin glauben?
Innerhalb der Theatergruppe zeigte man sich verblüfft und entsetzt über Doris. Einige äußerten Zweifel an ihrer Schuld: »Das ist nicht ihr Stil, ich hätte ihr eher einen Giftmord zugetraut.«
Andere kannten bereits das Motiv: »Sie hat die Sache mit Max nicht verkraftet, außerdem ist ihr Mann weg, und sie ist in einem komischen Alter …«
Siggi überlegte laut, wer jetzt, einen knappen Monat vor der Premiere – »Gott sei Dank nicht einen Tag vorher!« –, ihre Rolle übernehmen könnte. Man entschied sich für Gitta. Paula enthielt sich jeden Kommentars. Sie hatte Mühe, nicht allzu gutgelaunt zu wirken, und als Rainer Zolt nach der Probe erneut seine Einladung zum nächtlichen Umtrunk vorbrachte, sein Spruch hatte schon fast etwas Gebetsmühlenhaftes, da nutzte Paula ihre gute Stimmung und den gnädigen Umstand, ein leeres Haus zu haben, und lud ihn ohne viel Umschweife zu sich ein.
Paula machte sich über Zolt keine Illusionen. Sie wußte, daß er wußte, daß er gut aussah. Es würde keine Schwierigkeiten machen, ihn beizeiten wieder loszuwerden.
Sie fuhr mit dem Motorrad voraus, verschloß es im Schuppen und wartete am Tor auf ihn. Doris’ Haus lag dunkel und, wie Paula fand, verlassen da. Obwohl das natürlich Unsinn war, nach einem Tag sieht ein Gebäude nicht verlassen aus. Wieder durchströmte sie ein wohliges Gefühl und das glückliche Bewußtsein: Es war vorbei. Sie war ihre Feindinnen los.
Gemessen daran, wie viele Wochen es gedauert hatte, bis Rainer Zolt zu diesem Kaffee kam, ging es danach recht flott voran. Ein, zwei Gläser Wein, und man ging zu den obligaten Turnübungen über, bei denen Zolt sich als routinierter Recke erwies. Solides oberes Mittelmaß, urteilte Paula und grinste verstohlen in die Kissen. Nicht so karnickelhaft wie bei Klaus und nicht so zeitraubend wie bei Siggi, der seine Nummern wie Schwarze Messen zu inszenieren pflegte. Gedanken an Kolja Bosenkow verboten sich hierbei, er gehörte ganz einfach in eine andere Welt.
Paula lag angenehm entspannt in ihrem Bett und lauschte auf das ungewohnte Geräusch männlicher Atemzüge neben sich. Plötzlich überkam sie ein Gedanke, der sie ruckartig in die Höhe fahren ließ: Anton!
Wo war der Hund? Sie war es nicht gewohnt, daß der Hund auf sie wartete, deshalb hatte sie ihn beim Heimkommen auch nicht vermißt. Klar, ich hatte meinen Kopf ja woanders. Sie stand auf und durchsuchte das Haus, prüfte Türen und Fenster, aber es war offensichtlich, daß er nicht da war, denn ansonsten hätte er ihre Ankunft wedelnd und bellend gefeiert, wie es bei Kreaturen seiner Art so üblich ist. In der Küche lag die pfotenzerwühlte Decke, die sie in Ermangelung eines Hundekorbs für ihn hingelegt hatte. Sie faßte die Decke an, in der Hoffnung, einen Rest seiner Körperwärme darauf zu fühlen, aber natürlich war da nichts. Da Anton nicht durch geschlossene Türen gehen konnte, gab es für sein Fehlen eigentlich nur eine einzige Erklärung.
Paula merkte, wie sie ein Gefühl der Ohnmacht überrollte. Sie wußte nicht mehr, wie lange sie im Wohnzimmer im Sessel gekauert und ins Nichts gestarrt hatte, aber allmählich spürte sie ihre eiskalten Füße. Sie stand auf, ging nach oben, in ihr Arbeitszimmer, und sah über die schwarzen, leicht im Wind wogenden Baumkronen hinweg. Das Haus war dunkel, wie vorhin. Dort also schlief sie und vermutlich auch der Hund. Warum saß sie nicht in Untersuchungshaft? Gab es denn nicht genug Beweise für ihre Schuld? Warum bekam man sie einfach nicht zu fassen? Durfte diese Frau denn tun und lassen, morden und erpressen, was und wen sie wollte, gab es niemanden, der sie aufhalten konnte? Am liebsten hätte sie Jäckle angerufen, aber die Uhrzeit
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