Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
war.
»Ja, da sind wir mal gespannt, ob auch keins aufplatzt«, fügte Petra Straub in dem Versuch, kokett zu wirken, hinzu, was bei den anderen ein quietschendes Wiehern hervorrief. Der Bailey’s, den Paula nach dem Kaffee kredenzt hatte, tat bei einigen bereits seine Wirkung. Obwohl sie es sich nur zögernd eingestand, war Paula froh, daß sie gekommen waren. Auf die Dauer war es recht anstrengend, im Zwist mit der ganzen Umgebung zu leben. Offenbar hatte man ihr ihre wie auch immer gearteten Fehltritte verziehen, und womöglich trug die überaus wohlwollende Besprechung der Premiere des Bauerntheaters, die sich Paula vor einer Woche zähneknirschend abgerungen hatte, ihr Scherflein zur allgemeinen Waffenstillstandsbereitschaft bei.
Vorhin war Paula kurzzeitig in Panik geraten, als sich Doris, das neutralisierende Element zwischen ihr und ihnen, verabschiedet hätte, aber die Stimmung war nach wie vor gelöst, stellenweise ausgelassen. Die Damen hatten sich ihrerseits Mühe gegeben: Neben den üblichen kleinen Geschenken für Simon wurden Kuchen in monströsen Tupperformen herangeschleppt, dazu ein großer, bunter Frühlingsstrauß für Paula, den leider das Pony in einem unbeaufsichtigten Augenblick samt Papierhülle gefressen hatte.
Natürlich basierte ein Großteil der neuen Herzlichkeit auf purer Neugier, diesbezüglich gab sich Paula keinerlei Illusionen hin. Keine der Frauen war je zuvor hier gewesen. Unvermeidliche Toilettengänge ins Haus dauerten deshalb bemerkenswert lange, und da keine der Damen auch nur ein einziges Wort über die Einrichtung verlauten ließ, wußte Paula, daß sie alles genauestens inspiziert hatten.
Aber die Hauptsache war, daß Simon sein Fest genoß. Dies war seine erste Geburtstagsfeier solchen Ausmaßes, und Paula war trotz der nervlichen Strapaze, die zehn tobende Kinder bedeuteten, recht zufrieden mit dem Tag.
Sie sah auf die Uhr. Schon nach halb sieben. Es war noch einigermaßen hell und warm. Wenn sie Glück hatte, konnte man die Meute auf der Terrasse abfüttern. Ich werde mal nach Jäckle und den Würstchen sehen, beschloß sie und ging ins Haus.
Als sich Isolde Schönhaar endlich aus ihrer Starre löste, dämmerte es bereits draußen über der Stadt. Der Rathausbrunnen wurde zu einem dunkelgrauen, vielarmigen Ungeheuer, die Bäume zu bizarren Kreaturen, die zum abendroten Himmel flehten. Ohne ihren Schreibtisch aufzuräumen, eine Tätigkeit, die sie sonst penibelst auszuführen pflegte, nahm sie ihren beigen Sommermantel vom Haken. Ihre Bewegungen waren kraftlos und schleppend, sie vergaß ihre aufrechte Haltung, auf die sie konsequent achtete, auch wenn niemand sie sah. Mechanisch schloß sie die Bürotür zweimal ab, ehe sie das Schlüsselbund in ihre Aktenmappe fallen ließ. Die Räume des Jugendamtes lagen im zweiten Stock eines Altbaus in der Bachgasse 9, ganz in der Nähe des gleichnamigen Theaters. Bis auf die Hausmeisterwohnung im Erdgeschoß gab es nur Ämter in diesem Haus: Sozialamt, Liegenschaftsamt, Jugendamt. Im Hausflur roch es nach Bohnerwachs. Diese sture alte Hexe von Hausmeisterin, empörte sich Isolde Schönhaar, froh, ihre Gedanken kurzzeitig auf dieses harmlose Problem lenken zu können. Wie oft muß man ihr eigentlich noch sagen, daß Bohnerwachs nicht nur überflüssig, nein, sogar gefährlich ist? Besonders für die vielen älteren Frauen, die das Sozialamt in der dritten Etage aufsuchen müssen. Gerade eben hatte sich eine, die noch dazu am Stock ging, die steile Treppe über ihr hinaufgeschleppt. Bildete sich wohl ein, das Amt hätte bis acht Uhr auf. Absurd! Wozu in aller Welt brauchen Sozialhilfeempfänger einen langen Donnerstag? Mißmutig drückte sie auf den Lichtschalter, preßte ihre Aktenmappe an sich und machte sich an den Abstieg. Bald würde sie ausziehen aus diesem muffigen Loch, in ein lichtes, freundliches Büro im nagelneuen Rathausbau. Sie war gerade auf den obersten Stufen der zweiten Treppe angelangt, da erklang das hinlänglich bekannte Klicken, mit dem das automatische Licht erlosch. Isolde Schönhaar wurde erneut vom Zorn auf die Hausmeisterin ergriffen. Auf drei Minuten sollte das Intervall eingestellt sein, das hatte sie ausdrücklich angeordnet. Drei. Nicht mehr und nicht weniger. Aber diese alte Schachtel litt offenbar am chronischen Energiespartick der Trümmerfrauen-Generation. Immer wieder stellte sie den Zeittakt kürzer ein, in der kindischen Hoffnung, daß niemand es bemerken würde. Ein Streifen Dämmerung
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