Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Tür öffnete, und ohne eine Antwort abzuwarten: »Wenn du Kaffee kochst, rasiere ich mich schnell und dusche.«
Eigentlich brannte Paula ihr Problem auf den Nägeln, aber sie mochte es selbst nicht, ungewaschen und im Bademantel vor einem Gast zu sitzen, also ließ sie sich von Jäckle die Küche zeigen und hörte kurz darauf das Wasser der Dusche rauschen. Ihr fiel ein, daß gestern sein Jazzabend gewesen sein mußte. Irgendwie ist mein Leben etwas durcheinander, dachte sie: Kaum kriecht der eine aus meinem Bett, schon mache ich dem nächsten Frühstück.
Paula setzte die Kaffeemaschine in Gang und sah sich dann in der Wohnung um. Sie war spärlich, aber nicht ohne Geschmack eingerichtet. Hier und da fehlte ein Möbelstück, Schuhe lagen im Flur verstreut, Platten und CDs standen über die halbe Wohnzimmerlänge an der Wand aufgereiht. Mitten im Zimmer lagen zwei Trompeten neben einem Notenständer. Im eingestaubten Bücherregal standen Bände über Jazz und Jazzmusiker, in der Abteilung Literatur viel Hemingway, noch mehr Dostojewski, kaum neuere Titel, kein einziges Werk seines Vaters. Über zwei Simmel und einen Konsalik sah Paula nachsichtig hinweg, ein Stapel alter Jerry-Cotton-Hefte brachte sie zum Lächeln. Eine leere Flasche Kognak lag unter dem Couchtisch, dessen Glasplatte Ränder von der Flasche und dem Glas aufwies, das zerbrochen auf dem Tisch lag. Die Scherben ragten aus einem trüben Rest Flüssigkeit, ein paar Kippen, die aus dem übervollen Aschenbecher gefallen waren, lösten sich darin auf. Es roch entsprechend. Es war der Geruch einer Niederlage. Auf dem Plattenteller lag eine Aufnahme von Sunnyland Slim, das Gerät summte ganz leise, er hatte vergessen, es auszustellen. Paula ließ die Platte laufen, allerdings mit verminderter Lautstärke, und öffnete das Fenster. Den Dreck auf dem Tisch sollte er ruhig selber aufputzen.
In der Küche die gemäßigte Unordnung eines berufstätigen Singles. Sie fand zwei saubere Tassen und setzte sich an den kleinen Kiefernholztisch.
Er kam aus denn Bad und roch streng nach Rasierwasser und Kognak.
»Wieso ist Doris draußen?«
Jäckle zuckte nur die Achseln.
»Verdammt, Jäckle, ich dachte, es gibt eine Zeugin? Du warst doch gestern noch so sicher!«
»War ich auch. Und sie hat zugegeben, daß sie dort war und nicht beim Zahnarzt.«
»Aber dann …«
Jäckle ging ins Wohnzimmer, kramte in seinem Schreibtisch und kam mit einem Gegenstand zurück, der wie ein Zigarettenetui aussah. »Setz dich und hör’s dir an«, brummte er und drückte die Abspieltaste des Diktiergerätes.
Zuerst hört man es rauschen und knacken, dann, glasklar und unverkennbar, die Stimme von Isolde Schönhaar: »… ich für Sie tun?«
»Irrtum, ich kann etwas für Sie tun.« Doris’ Stimme, ganz deutlich. Paula hielt den Atem an und lauschte.
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Die Schönhaar, abweisend: Ich wüßte nicht, was.
Doris: Sie haben einen Neffen, nicht wahr? Herbert Schlich.
Die Schönhaar, leicht verwirrt: Wieso interessiert Sie das?
Doris: Ich hörte, er ist musikalisch sehr begabt.
Die Schönhaar: So? Ja, das ist er tatsächlich. Er spielt hervorragend Klavier. Und Blockflöte.
Doris: Sie mögen ihn wohl sehr? Er ist sicher der Stolz Ihrer Familie.
Die Schönhaar: Nun ja, Räuspern , er ist jedenfalls nicht wie die anderen Jugendlichen, mit denen ich es hier im allgemeinen zu tun bekomme.
Doris, liebenswürdig: Was für ein Glück, daß es in unserer Stadt eine so angesehene Musikakademie gibt. Seine Mutter schickt ihn doch sicher dorthin, oder? Wäre doch schade, wenn so ein Talent verkümmert.
Die Schönhaar, stammelnd: Ja, doch, ich denke schon. Pause. Aber was haben Sie damit zu tun?
Doris: Frau Schönhaar, wissen Sie, wie die Aufnahmeprüfung dort abläuft?
Die Schönhaar: Nicht genau.
Doris: Es ist folgendermaßen. Es gibt einen theoretischen Teil, den die meisten Schüler gut bestehen. Aber der Praktische … Seufzen … der Praktische hat’s in sich. Nur etwa ein Drittel der Angemeldeten besteht diesen Test.
Pause, dann Doris, sachlich: Da gibt es eine Jury. Die besteht aus dem Direktor, zwei Lehrern, einer außenstehenden Person, die von Musik etwas versteht, und einem sogenannten Laien. Vor ihnen muß der Prüfling spielen. Wenn drei der fünf Leute für die Aufnahme sind, dann ist er drin.
Die Schönhaar: Ich verstehe. Aber wieso …
Doris: Dieses Jahr bin ich der Laie. Ich kenne einen der Lehrer sehr gut. Sehr sehr gut sogar, Sie verstehen? Flüsternd: Sie
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