Mordsmöwen
Kopf in den Nacken, reckt den Schnabel fast senkrecht nach oben und zeigt ihm ihr reinweißes Federkleid an der Kehle. Bei dem Anblick lässt sich Mogulis zu einem verzückten Glucksen hinreißen. Jetzt tänzelt Suzette um ihn herum und präsentiert sich ihm von allen Seiten. Mit großspurigen Bewegungen baut Mogulis ihr im Gegenzug ein symbolisches Nest. Schiet, das zieht bis ins Herz. Seine Absichten sind eindeutig. Die Bewegungen von Suzettes Hinterteil auch. Es ist nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie seinem Werben nachgeben wird. Noch während ich das denke, gibt Suzette mit einem Kopfnicken tatsächlich ihr Einverständnis zur Kopula.
Das reicht. Wie von der Krabbe gezwickt schreie ich auf und fliege im Schusstempo auf die Turtelmöwen zu. Die beiden fahren erschrocken auseinander.
Mission eins: erfüllt.
Ich lande neben den beiden auf dem Dach der Sturmhaube.
Suzette starrt mich an wie vom Donner gerührt und zupft verlegen an ihrem Federkleid. »Was willst du denn hier? Kannst du nicht sehen, dass ich eine Verabredung habe?«
»Du bist nicht zur Sitzung erschienen, wir haben uns Sorgen gemacht«, keife ich sie an. Harscher als gewollt.
Mogulis guckt grimmig und legt einen Flügel über Suzette. »Kennst du diesen Herrn, mein Täubchen?«
Suzette weicht meinem Blick aus. »Nur flüchtig.«
»Wenn der Herr dann also bitte die Freundlichkeit besäße, von dannen zu fliegen? Die Dame möchte ihre Ruhe haben – und meine Wenigkeit im Übrigen auch.« Den Nachsatz unterstreicht er mit einer eindrucksvollen Drohgebärde, die mich zurückweichen lässt. Mogulis legt seinen Flügel wieder über Suzette. »Komm, mein süßes Schnäbelchen. Ich möchte dich gern zur Balzfütterung einladen und dich außerdem ein paar meiner Geschäftsfreunde vorstellen. Wo möchtest du zuerst hin? Ins ›Gogärtchen‹, ins ›Pony‹ oder in den ›Rauchfang‹?«
Verdammt, der Kerl meint es richtig ernst.
»Suzette …«, wende ich zaghaft ein und weiß doch gar nicht, was ich sagen soll. Suzette reagiert ohnehin nicht, so sehr hängt sie am Schnabel von Mogulis. Mit zärtlichen A- und U-Lauten schnappt sie nach Mogulis’ Kehle und signalisiert ihm damit, dass sie seine Einladung zur Balzfütterung annimmt.
Mission zwei: gescheitert.
Suzette wirft mir noch einen kurzen Blick zu, von dem ich mir einbilde, dass er entschuldigend wirken soll, dann fliegen die beiden als schwarze Silhouetten im Licht des Sonnenuntergangs dem Strömwai entgegen, wo alles schöner, reicher und irgendwie nicht von dieser Welt ist. Echte Möwenprominenz eben. Filmstars wie die Möwe Jonathan oder die weltberühmte Möwe Emma lassen sich angeblich des Öfteren nach Sylt einfliegen, zum Schaulaufen auf eben dieser Whiskeymeile. Angeblich. Wenn Sie mich fragen, mag das zwar früher mal gestimmt haben, als meine Eltern noch jung waren. Mittlerweile halte ich es aber nur noch für einen gut funktionierenden Werbetrick, um Besucher anzulocken. Echte Prominenz sieht man selten, weil die nämlich gar nicht gesehen werden wollen. Dafür gibt es jede Menge Ausflugsmöwen vom Festland, die sich mit dem Geruch von Edelfisch umgeben wollen und dabei so tun, als würden sie zu Hause jeden Tag Kaviar fressen. Und natürlich solche Typen wie Mogulis. Leider.
Breitbeinig und mit lang gerecktem Hals stolziert er mit Suzette an seiner Seite die Whiskeymeile entlang und tut so wichtig, dass ihm sogar die menschlichen Zweibeiner ausweichen. Erst als er sich mit fremden Federn schmücken will, indem er auf der Kühlerhaube eines der edlen Blechgeschosse posiert, wird er von Menschenhand verscheucht.
Gelassenen Schrittes geht Mogulis weiter und führt Suzette auf eines der Lokale zu, wo riesengroße Flaschen zur Dekoration im Außenbereich stehen. Unser Alki wäre bei deren Anblick wohl vor Verzückung in Ohnmacht gefallen.
»Komm«, sagt Balthasar, der hinter mir auf dem Strömwai gelandet ist. »Es wird dunkel. Lass uns nach Hause fliegen, die Auster ist sowieso gelutscht.«
Balthasar hat ja recht, so verdammt recht. Wenn ich Suzette jetzt mit irgendwelchen Eifersuchtsszenen komme, kann ich sie gleich ganz in den Wind schreiben. Also Schnabel zusammenbeißen und den geordneten Rückzug antreten. Ich folge Balthasar auf dem Fuße, schiele aber immer wieder nach hinten.
Pffflock. Im Gesicht spüre ich plötzlich nur noch Federn, und das Detailwissen, wo genau ich mit meinem Schnabel stecke, möchte ich Ihnen ersparen.
»Pass doch auf, du Vollpfosten!«,
Weitere Kostenlose Bücher