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Mordsmöwen

Mordsmöwen

Titel: Mordsmöwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sine Beerwald
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Beobachtungsgabe.«
    Ausgerechnet Balthasar, denke ich und seufze innerlich. »Also gut. Aber keine Vorträge unterwegs, hast du mich verstanden, Balthasar?«
    »Geht klar. Ich kann auch mal den Schnabel halten.« Balthasar holt das Handy unterm Flügel hervor und setzt die Brille auf. »Ich wollte nur sagen, dass ich schnell noch das Navi programmieren muss.«
    »Nicht ernsthaft willst du jetzt per Navi die zwanzig Kilometer nach Kampen fliegen?«
    »Warum nicht? Wir haben den Auftrag, Suzette schnellstmöglich zu finden, da können wir es uns nicht leisten, uns zu verfliegen oder Umwege zu machen, und ich kann dir die schnellste Route sagen.«
    »Erstens sind die zwanzig Kilometer Flugstrecke auf dieser schmalen Landzunge schnurgerade , und zweitens: Eine Möwe verfliegt sich nicht.«
    »Sicher ist sicher«, erwidert Balthasar und tippt unbeirrt das Flugziel ins Display. »Warum willst du das Nest auf Hooge eigentlich nicht haben?«, fragt er, als wir losfliegen. »Du wärst eine reiche Möwe.«
    »Weil es mich nicht interessiert. Ist das so schwer zu verstehen? Mein Bruder und ich stammen aus dem gleichen Saisongelege, wir sind Ei an Ei ausgebrütet worden, aber von Anfang an haben meine Eltern meinen Bruder bevorzugt. Er bekam den besseren Platz im Nest, wurde besser gefüttert, durfte zuerst fliegen lernen … Selbst wenn ich alles richtig gemacht habe, war es in den Augen meiner Eltern falsch. Meinem Bruder, dem Nesthocker, haben sie jeden Halm unter den Hintern geschoben, ich dagegen konnte ihnen nichts recht machen. Sobald mich meine Flügel weit genug tragen konnten, bin ich aus dem Nest geflüchtet und nie wieder dorthin zurückgekehrt – doch, ein einziges Mal bin ich noch einmal nach Hooge geflogen, um meine Eltern nach Sylt einzuladen. Ich wollte ihnen mein erstes selbst gebautes Nest zeigen und ihnen meine Freundin vorstellen, die bereits beim Brüten war.«
    »Das hat sie doch bestimmt beeindruckt.«
    »Nein, sie haben die Einladung mit einem müden Flügelwink abgelehnt. Wahrscheinlich haben sie gedacht, ich hätte gerade mal zwei Dünengräser übereinandergelegt und mich mit irgendeinem dahergeflogenen Weibchen eingelassen. Okay, wir waren tatsächlich nur eine Saison verpaart, aber für ihre Enkel hätten sich meine Eltern ja trotzdem interessieren können.«
    »Du müsstest jetzt, nach ihrem Tod, aber dennoch etwas bekommen. Das ist Möwengesetz. Dein Bruder wird nicht drum rumkommen, dich mit Jagdgebiet zu entschädigen, wenn er das Nest behalten will.«
    »Ich brauche kein Nest und kein Jagdgebiet auf Hooge. Ich fühle mich so wohl, wie ich lebe.«
    »Helgi hat schon recht, denk doch mal an deine Chancen bei den Weibchen. Ich meine, ich kann ja mit meinem Intellekt punkten, schon mein Großvater Avenarius, der in Kampen gelebt hat, war eine überaus feinsinnige und gebildete Möwe, aber du …«
    »Balthasar«, ermahne ich ihn, er lässt sich jedoch nicht in seinem Redefluss stören.
    »Ihr könntet das Nest doch verkaufen. Dafür würdet ihr jede Menge Heringe bekommen. Selbst wenn du mit deinem Bruder teilst, könntest du den ganzen Winter davon leben.«
    »Der Brutplatz ist seit Generationen im Familienbesitz, so etwas verkauft man nicht. Das hätte mein Vater niemals gewollt. Und jetzt lass gut sein, Balthasar.«
    Wider Erwarten hält Balthasar tatsächlich den Schnabel, und der weitere Flug verläuft ruhig, zumindest nach außen hin. Innerlich bin ich total aufgewühlt.
    Kampen ist entgegen Balthasars Schwarzmalerei natürlich nicht zu verfehlen. Zwischen der rauen Westseite und der östlichen Wattseite der Landzunge liegen ausschließlich reetgedeckte Häuser in einem sanft gewellten Hügelmeer aus Farbklecksen. Im satten Dunkelgrün der Heide wachsen rosafarbene Syltrosen, Glockenheide, geflecktes Knabenkraut, Sonnentau und Lungenenzian. Die Häuser befinden sich in angenehmem Anflugabstand voneinander und sind prima Ausruhplätze. In Kampen geht es ums Sehen und Gesehenwerden. Die Revierkämpfe werden subtiler ausgetragen als anderswo auf der Insel, das perfekte Balzverhalten zählt, denn die Weibchen hier sind anspruchsvoll. Und es gibt alles im Überfluss; ich rieche Hummer, Krabben und Lachs schon auf viele Meter Entfernung.
    Nach einem ausgiebigen Rundflug über den Ort landen wir erschöpft auf dem Holzgeländer einer Aussichtsplattform, wo sich schon zahlreiche Menschen versammelt haben, um in die Sonne zu starren.
    Obwohl der Höhenmesser in meiner Schwanzfeder gerade mal

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