Mordsmöwen
weg – und dann wieder gefährlich nah. Heilige Möwenscheiße, wo kommt denn auf einmal der Dachgiebel her?
Zum Ausklappen meines Landefahrwerks ist es zu spät. Unsanft setze ich auf dem Reetdach auf, dann geht es Schnabel voran abwärts. Boah, ist das eine Schussfahrt – wie geil! Das Reet kitzelt am Bauch, ich kreische vor Lachen, und dann, whumm , ist die Freifahrt zu Ende. Ich rieche Fisch, überall Fisch, Fisch, Fisch. Bin ich im Paradies oder im Möwenhimmel gelandet? Mit einer mächtigen Fischgräte im Schnabel, der Forellenkopf ist noch dran, tauche ich aus der Tonne auf. Das Lachen bleibt mir allerdings samt Gräte im Hals stecken, als ich in das grimmige Gesicht von Mogulis schaue. Ein Salatblatt rutscht ihm vom Kopf und über seine bekleckerten Federn auf die zerstörte Tafel. Fischabfälle liegen quer über das am Boden ausgebreitete Tischtuch verteilt – und leider auch über Suzettes Federn. Ihr Blick verheißt ebenfalls nichts Gutes, aber wenigstens habe ich das Liebesmahl der beiden empfindlich gestört.
»Gunnen Abnnnd, die Häschafften. Was daffich … daffich serviern?«
Suzette schaut mich eindringlich an. »Ahoi, deine Aktion ist so peinlich. Geh bitte.«
»Aber ein bisschen plötzlich, sonst mach ich dir Flügel!«, schreit Mogulis und reißt sich vor Wut die Serviette vom Kragen. Er stellt die Flügelbuge leicht nach außen, senkt den Kopf wie ein Stier und schreitet gravitätisch auf mich zu.
Vielleicht liegt es am Alkohol, dass mir die Sicherung durchbrennt, ganz sicher aber bin ich verrückt, mich angesichts der Drohgebärde provozieren zu lassen. Wenn ich jetzt allerdings in Angsthaltung das Feld räume, brauche ich als Schwächling meiner Suzette nie wieder unter die Augen zu treten. Breitbeinig baue ich mich vor Mogulis auf. Zugegeben, ich fühle mich wie ein schwankender Schiffsmast und weiß nicht genau, welcher von den beiden unscharfen Typen da vor mir die feindliche Möwe ist, aber das bleibt unter uns, okay?
»Was willst du Schnapsdrossel von mir, he?«, fragt Mogulis und stößt ein sattes Gelächter aus.
Das reicht. Mit geöffneten Flügeln stürze ich mich auf meinen Rivalen, dass Suzette einen erschrockenen Schrei ausstößt und zur Seite weicht. Tja, mit dem Angriff hat der feine Herr wohl nicht gerechnet. Nahezu ohne Gegenwehr lässt er sich von mir zu Boden drücken. Ich springe auf seinen Rücken, haue ihm meine Flügel um die Ohren und hacke mit dem Schnabel auf seinen Nacken ein. Wollen wir doch mal sehen, wer von uns beiden Suzette mehr beeindrucken kann. Was nützt Mogulis, diesem Schwächling, sein ganzer Reichtum, wenn er keine ordentliche Revierverteidigung demonstrieren kann? Denn Suzette ist eine Frau, die an das Nest und die Kinder denkt.
Oha, nun wehrt er sich doch. Aua, autsch, aua! Bei allen heiligen vier Winden, wie viele Schnäbel hat dieser Mogulis denn? Am Kopf, am Schwanz, am Rücken, an den Füßen – überall gleichzeitig treffen mich schmerzhafte Hiebe. Ich weiche zurück und sehe mich von Mogulis’ Bodyguards umzingelt. Schiet, mit solchen Lachmöwen ist nicht gut Muscheln essen. Der Name Lachmöwe ist sowieso nur Tarnung, genau wie die schwarzen Kopfmasken, die sie über ihrem ansonsten reinweißen Federkleid tragen. Verdammt, ich hätte mir aber auch denken können, dass dieser Mogulis seine Bodyguards hat. Suzette steht wie versteinert am Rande des Kampffeldes, und jetzt, als sich unsere Blicke treffen, wendet sie sich ab. Mir schießen die Tränen in die Augen.
Mission drei: gescheitert.
Ich torkle langsam rückwärts. »Ähm, okay, Kumpels. Ich geh dann mal. War nett mit euch.«
Vielleicht hätte ich es bei meinem verbindlichen Lächeln belassen und dem einen der Bodyguards besser nicht noch kumpelhaft auf die Schulter hauen sollen. Jedenfalls habe ich plötzlich eine Horde wild gewordener Lachmöwen hinter mir. Kreischend jagen sie mich an der Uwe-Düne vorbei und quer über die Kurhausstraße hinunter ins Dünental zur Sturmhaube – dem Ausgangspunkt meines Leidensweges. Ich habe Mühe, wieder an Höhe zu gewinnen. Die Lachmöwen heften sich an meine Schwanzfedern. Ich drehe nach Norden ab, und mir wird von meinem eigenen Flugstil schlecht. Nie wieder trinke ich auch nur einen Tropfen Alkohol.
Unter mir taucht einer der wenigen Wälder in der Dünenlandschaft auf. Ich überlege nicht lange, dazu bin ich ohnehin nicht in der Lage, sondern rette mich durch einen beherzten Sturzflug ins Dickicht.
Plong, Plong, Plong.
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