Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
wenn es ihr nicht gestohlen worden war, in den letzten Jahren bereits das Nötigste veräußert, um zu leben!
Vor dem Richter legte sie nach anfänglichem Zögern ein vollständiges Geständnis ab. Mit weiblicher Schlauheit suchte sie hier und da einiges zu beschönigen, weniger das Verbrecherische als das, was sie in ungünstigem Licht als töricht und unwissend darstellen könnte. Das Maß ihrer Schuld war voll, und es kam deshalb auch nicht darauf an, ihre Reisen nach Hamburg strenger zu verfolgen, als es geschehen war. Auch dort war sie schon der Polizeibehörde durch ihre Verschwendung aufgefallen und hatte einmal wenigstens die Weisung erhalten, die Stadt zu verlassen.
Ob sie mit Sporen an den Füßen ausgefahren sei, einen Jockey als Vorreiter, Zigarre im Mund, wie ein dortiger Wirt, bei dem sie gewohnt hatte, behauptete, sie aber in Abrede stellte, tut nichts zur Sache und würde nur zu ihrem Charakter einen Zug mehr liefern.
Und was war nun das Motiv eines so großen, mit solcher Ausdauer von einem jungen Mädchen verübten Betrugs? In ihrer Aussage vom 4. Mai 1836 heißt es:
»Zu den Betrügereien gegen die Niemann bin ich dadurch gekommen, dass ich durchaus keine Lust hatte, mir durch niedrige Arbeit bei anderen Leuten meinen Unterhalt zu verschaffen. Da ich selbst kein Vermögen besaß, kam ich auf den Gedanken, mir die Mittel zu einem selbstständigen Leben durch Schwindeleien zu verschaffen.
Als ich auf die Art erst einmal von der Niemann Geld erhalten hatte, wurde ich durch die Leichtigkeit, mit der ich dasGeld von ihr erhielt, nur aufgemuntert, darin weiter fortzufahren.
Anfänglich und bis zu der Zeit, wo ich sah, dass die Niemann Geld auf ihr Grundstück aufnehmen musste, hielt ich sie für sehr reich und glaubte, es mache auch keinen großen Schaden, wenn ich ihr von ihrem Überfluss abzapfe. Erst als sie auf ihr Haus Schulden aufnehmen musste, um Geld zu bekommen, merkte ich, dass sie kein Vermögen mehr besaß, aber da war ich nun einmal drin und konnte nicht mehr zurück.«
Befragt, ob sie denn nie weitergedacht habe und dass ihr Betrug irgendwann entdeckt werden müsse, antwortete sie mit völliger Unbefangenheit:
»Mir ist nie der Gedanke gekommen, dass mein Vorgehen entdeckt werden könnte, und ich habe auch nie daran gedacht, dass meine Betrügereien doch einmal ein Ende nehmen müssten, dass ich dann nichts hätte, wovon ich meinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Ich habe alles, was ich von der Niemann und anderen erhalten, ausgegeben, um meinen Hang, als große Dame in der Welt zu leben, ausführen zu können.
Ich habe sehr viel Geld gebraucht für meine Reisen, Wagen, Pferde, Dienstpersonal, für Geschenke an Reiche, für Almosen an Bedürftige, sodass ich begreiflicherweise nichts übrig behielt als die paar Sachen, die man noch bei mir gefunden hat.«
Henriette Wilke spielte übrigens die Rolle, die sie so gut gelernt hatte, im Gefängnis weiter. Mit in einem Fingerhut gesammeltem Blut – wie sie behauptete, aus dem Daumen einer Mitgefangenen – schrieb sie auf ein entwendetes Blatt Papier Folgendes:
»Eure Majestät unser allergnädigster König wollen huldvoll entschuldigen, dass eine alte siebzigjährige Person es wagt, vor Allerhöchst Dero Thron eine Bitte zu legen.
Von Ew. Majestät allbekannten Herzensgüte und Milde fest überzeugt, hege ich schon im Voraus die feste Hoffnung, dassEw. Majestät sie mir erfüllen werden. Eure Königliche Majestät wird nicht unbewusst sein, wie vor einiger Zeit ein junges Mädchen mit Namen Wilke sowohl in Berlin als auch in Charlottenburg, ihrem Wohnorte, viel Aufsehen unter den Einwohnern erregte, weil sie von niederer Herkunft war und durchaus gar kein Vermögen besaß. Mit einem Mal trat sie auf, besaß Vermögen, lebte danach, teilte aber besonders reichlich davon unter den Armen aus, welches ihr die Liebe und Teilnahme Tausender zuzog.
Auch hat sie sich nie einen Tadel oder Vorwurf zuschulden kommen lassen, in Hinsicht eines schlechten, liederlichen Lebenswandels. Doch jetzt machte es ein Umstand nötig, dass es ans Licht kommen musste, wo sie dies Vermögen herbekommen hatte. Dies junge Mädchen war von Jugend auf nie an Abhängigkeit gewöhnt, denn sie wurde erzogen beim verstorbenen Geheimrat… hernach von dessen Schwägerin, nach deren Tode ihr nichts übrig blieb, als bei anderen Leuten ihr Fortkommen zu suchen.
Der Zufall führte sie zu mir nach Charlottenburg; ich bin ihre Patin, sie suchte Zuflucht bei mir,
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