Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
zutraut und der zu allen Menschen höflich ist. Das war nicht aufgesetzt: Beim Schlachten im Metzgerladen wollte er nicht helfen, weil die Tiere »so treuherzig« schauten, und im katholischen Internat, in das ihn die Eltern von 1958 bis 1960 gesteckt hatten, las er am liebsten Mädchenbücher von Johanna Spyri.
Nach der ersten Gerichtsverhandlung berichtete Jürgen Bartsch, dass er im katholischen Internat von einem Priester nicht nur geschlagen, sondern im Jahr 1960 auch sexuellmissbraucht worden sei, während er erkältet das Bett gehütet hatte. Obwohl diese Geschichte für jeden, der die damaligen Verhältnisse in katholischen Internaten kennt, sofort glaubhaft ist, meldet Polizist Mätzler bis heute Bedenken an und verweist darauf, dass sich Bartschs Persönlichkeit durch das große Interesse der Öffentlichkeit wandelte und vielleicht auch zu Erfindungen führte. Es ist aber nach der Aussage anderer Schüler erwiesen, dass der betreffende Lehrer, Priester und Chorleiter seine Schützlinge schlug, »bis ihm der Schaum vor dem Mund stand«.
Abb. 33: Selbst bei der Tatort-Nachstellung im Stollen wirkte Bartsch immer noch wie der nette Junge von nebenan. Man beachte aber seinen Gesichtsausdruck, der mit Unverständnis und Kälte gegenüber seinen Taten interpretiert werden kann. (Repro: M. Benecke)
In der Psychiatrie
Tiefer gehende psychiatrische Untersuchungen lieferten keine anderen Ergebnisse als die, die man auch heute noch vor Gericht bei besonders schweren Taten hört: Die eine Partei war überzeugt, dass der Junge die Morde nicht hätte begehen müssen, wenn er nicht gewollt hätte. Die andere Seite meinte, dass ein Mensch, der an kaum etwas anderes als das Totfoltern von Kindern denken kann, wohl keinen freien Willen haben könne.
Abb. 34: Bartsch gab an, im katholischen Internat von einem für seine Gewalttätigkeit bekannten Priester missbraucht worden zu sein. Die Aussage konnte zwar nie bewiesen werden, wurde von Bartsch aber lebhaft vorgebracht. (Repro: M. Benecke)
Die Gerichte sahen es ebenso widersprüchlich. In der ersten Verhandlung im Jahr 1967 wurde entschieden, dass Bartsch – da er ja unbestritten wusste, dass er Unrecht tat – seine Impulse auch hätte kontrollieren können. In einem Satz: Bartsch war zwar vom Bösen beseelt, hätte sich davon aber durch Standhaftigkeit befreien können.
Zum Ende der zweiten Verhandlung (1971) vertrat man die Gegenposition: Seine sadistischen Fantasien hätten alle moralischen Grenzen in ihm zerstört. Dadurch sei jeder möglicherweise vorhandene gute Wille untergraben worden – seine Taten waren unausweichlich. Das bedeutete nun, dass Bartsch psychisch verändert und nicht absichtlich böse war. Also wurde er im Oktober 1972 aus dem Gefängnis in Köln-Ossendorf in die Psychiatrie Eickelborn überführt. Aus dieser Zeit stammen auch die hier erstveröffentlichten Briefe, die Sie weiter unten finden.
Die Behandlung Bartschs in der Psychiatrie war allerdings nicht so, wie sie hätte sein sollen. Man hatte erstens nicht genügend Personal und versuchte daher, den auch mit heutigen Mitteln unheilbaren Täter zusammen mit den anderen psychisch veränderten Menschen in Gruppengesprächen zu behandeln. Bartschs Verbrechen sprengten jedoch völlig den Rahmen, sodass er unzufrieden war und den Sitzungen oft fernblieb.
Zweitens war er räumlich in der Psychiatrie stärker eingekerkert als im Gefängnis, da man einen Selbstmord fürchtete. Anders als in der Kölner Haftanstalt gab es auch keine Weiterbildungsmöglichkeiten vor Ort, sodass Bartsch sich verstärkt langweilte. Umso glücklicher konnte er über die Versorgung mit Heftchen und Tricks durch seine Mutter und Tante sein.
Bartsch war ein anstrengender Mensch, der Aufmerksamkeit verlangte. Wollte man ihm als Briefpartner nahe sein und helfen, so sollte man auch Taten folgen lassen – das forderte Bartsch sehr direkt ein. Den damaligen Sexualkundler HansGiese, der während des Verfahrens starb, brachte Bartsch dadurch derart in Bedrängnis, dass Giese vom Gericht beinahe die notwendige Objektivität als Sachverständiger abgesprochen worden wäre.
Abb. 35: Der gut gemeinte und völlig harmlose Briefwechsel mit Jürgen Bartsch brachte den Sexualkundler Hans Giese beinahe um seine Zulassung bei Gericht. Der Pfeil in Gieses Brief stammt vom Richter, der eine mögliche Befangenheit des damals in Deutschland einzigen Sexualkundlers prüfen musste. Giese konnte vor Gericht aber nicht mehr gehört
Weitere Kostenlose Bücher