Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
Bin gespannt, ob Sie es erhalten. Eines machen lassen darf ich nicht. Ich hätte übrigens gerne auch eines von Ihnen. So, nun habe ich mir für heute alles von der Seele geredet.
Hoffentlich nicht zu viel für Sie. Doch, um zu beurteilen, wie man mit mir umgeht, müssen Sie noch eines wissen: Ein Rückfall williger Täter, den man natürlich fördert , sagte zu mir: »Dreimal entwichen. Trotzdem müssen sie mich fördern.« – »Ist in der Zeit nichts vorgekommen?« – »Ich bin nicht erwischt worden.« SO ist es hier.
1000 Grüße
Ihr Jürgen Bartsch
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15. Oktober 1974
Wie geht es Ihnen? Ich hoffe, gut. Es war natürlich nach meinem letzten Brief eine Frage, ob Sie mir überhaupt noch antworten würden, weiter als Schützling akzeptieren würden. Eine bange Frage, denn ich nehme unsere Freundschaft genauso ernst wie Sie. Aber es bleibt wohl auch nicht aus, dass man mal richtig durchgerüttelt wird. Es ist gut, dass Sie mir verziehen haben. Mir waren sämtliche Pferde durchgegangen.
Auch dass Sie »immer wieder« erschreckt waren, haben Sie sehr gut erklärt. Eine Gefahr liegt für Sie darin: Ein falsches Wort, nur eines, und schon schrillt die Alarmglocke im Hinterkopf à la » Wie hat er das Wort gemeint?« – »War dieser Satz nicht aggressiv?« – » Dieser Satz klingt, als ob er es sich zu leicht mache.« – »Also dieses Wort – wo bleibt da das Verständnis für die anderen ?« – Ich möchte wetten, dass solche Missverständnisse schon oft vorgekommen sind. Die Gefahr für Sie liegt darin, wortwörtlich aufzufassen. Das dürfen Sie um Gottes willen nicht tun! Man kann sich brieflich nicht so erklären wie mündlich! Ich habe manchmal Aggressionen. Sie sind aber weder anlage- noch sexbedingt, sondern Folge der Haft. Der Haft, die ich als solche akzeptiere.
Den gewesenen Dingen stehe ich heute ganz anders gegenüber als früher. Es wäre nicht mehr möglich. Auch aus Einsicht. Auch aus sexueller Nachreife. Auch aus dem Grunde, dass ich (Gott sei Dank) gänzlich auf meine Frau fixiert bin. Zwei Wochen lang konnte sie nicht kommen. Kein einziger verdammter Gedanke an Kinder – ich habe lediglich geweint, abends, als meine Frau wieder nicht kam. – Aggressionen, JA, aber auf einer ganz anderen Ebene . Das war es, was ich Ihnen verständlich machen wollte.
Das (auch ärztlich) missverstehen, heißt alles (auch ärztlich) falsch machen. Warum? Darum: Reichte man mir den kleinen Finger, sagte: »Gut, Ihr liebt Euch, wir geben Euch hier im Haus ein Zimmer« (wie es im fortschrittlichen Strafvollzug getan wird), Ihre Eltern dürfen Sie unter Bewachung mal spazierenfahren, Ihre Frau darf Sie mal mitnehmen«, dann wären auch die letzten Aggressionen fort . Könnte man? Ja, man könnte , eine Fluchtgefahr besteht bei mir insofern nicht, als man ganz sachlich sagen muss: Flucht wäre mein Tod . Echt durchdacht, fällt dieses Problem flach. Das ist eine Tatsache, keine Frage vom Glauben oder Nichtglauben.
Aber wenn Sie völlig anderer Ansicht sind, dann sagen Sie es ruhig. Aber es würde schwer sein. Auch, ob Sie mir glauben, dass ich mich sexuell normalisiert habe, dass es fast kein Problem mehr ist, ist Ihre Sache. Ich werde Ihnen nicht böse sein. Geben Sie Ihren persönlichen Eindruck. (Die Zeit der Aggression ist wieder für lange vorbei. Nichts zu befürchten…)
Zur Operation: Zwar darf ich nichts Direktes darüber sagen, aber ich kann Ihnen… sagen, dass ich einen Durchschlag erhielt, Fazit: es tut sich was, und das gut . Nach so vielen Jahren! Drücken Sie mir die Daumen, wenn Sie glauben, dass JEDER seine Chance verdient hat (das schien mir Ihre Einstellung). Ich habe das Papier an meine Psychologin gegeben, weil ich mich mit ihr am besten verstehe und bei ihr ein wenig das Gefühl der Geborgenheit habe. Sie würde mich viel eher verstehen als ein Direktor oder so. »Helfen« in dem Sinne wird sie mir nicht können. (Ich habe nun die Hierarchie durchschaut.) So wenig wie Sie. Weiter helfen ist gemeint. Im Moment sieht nichts danach aus, dass ich eine drängende Ungeduld haben müsste. Aber gerade dann sind wir Menschen ja so nervös…
Menschliche Schwächen. Habe ich sie? Nein. Aber bei mir wird alles mit anderer Elle gemessen. Sie sagen, dass sei angemessene Vorsicht. Ich, das akzeptierend, bedauere aber, dass mein Gehirn nicht offenliegt. Das, was man mit allzu strenger Vorsicht sucht, existiert dort nicht mehr. – Ab nächster Woche geht die Gruppentherapie wieder
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