Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
Gründen? Irgendeine sinnlose Rücksichtnahme, nehme ich an. Quatsch. Denn wenn ich den Eingriff akzeptiere, ihn will , dann würde ich mich auch am 24.12. auf den Tisch legen. Logisch.
Traurig bin ich, dass Gisela evtl. Weihnachten nicht kommen kann. Dienst. Alle zwei Tage (Heiligabend ist Besuchsverbot). Scheiße. Aber vielleicht kann sie tauschen. Mit Brigitte oder Elvira…
Gerade habe ich mir ein Adventsabendessen gemacht. Die Zusammenstellung ist interessant: Zwiebelsuppe, Clementinen, Christstollen und feine Schmierwurst. Ich hoffe, Ihnen fehlen die Worte…
Ja, was wird aus dem, was ich schreibe? Zuerst mal gar nichts. Bis heute ist die Einleitung (es soll eine Sammlung von Kurzgeschichtenund Erzählungen sein, als BUCH zusammengefasst) fertig und zirka hundert oder mehr DIN-A4-Seiten (eine DIN-A4-Seite wenigstens anderthalb Schreibmaschinenseiten). Das ist mir zu WENIG. Da ich nicht um des Schreibens willen schreiben will, gibt es Pausen, ein bis zwei Wochen. Zweihundert DIN-A4-Seiten finde ich das Mindeste. Ich will Ihnen sagen, wer zurzeit etwas liest. Meine Frau. Sonst niemand. Wenn ich genug für ein Buch geschrieben habe, wird meine Frau alles fertig zusammenstellen, mit Seitenzahlen, korrigiert usw., vier Exemplare. Dann bekommen alle meine Freunde alles zu lesen, die Fachleute. Finden die meisten es okay (es kann ja auch Mist sein), gehe ich die Verlage an.
Ihr Wort, es gilt schon etwas, bei den Verlagen. An Verlagen würden sich Fischer, Rowohlt, Limes, Diogenes usw. anbieten. Entweder klappt’s dann, oder nicht. Wenn nicht, stürzt für mich auch nicht die Welt ein.
Für heute 1000 Grüße bis nach Weihnachten
Ihr Schützling Jürgen
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29. Dezember 1974
Wir sitzen vor dem Fernseher, essen Schokolade, rauchen Lord Extra, ich studiere dabei Anleitungen für »sensationelle« Hellseh-Wunder (meist mit Karten, Symbolkarten usw.), und es sieht aus, alles sei für uns unproblematisch.
»Die haben’s doch so gut da, viel zu gut.« Dummes Geschwätz. Jeder hat eine seelische Krankheit, der eine kann nicht aufhören zu saufen, der Nächste ist psychisch zerbrochen an Einzelzellen-Haft, einer kann nur im Raum herumlaufen, er ist zu nervös, sich zu setzen. Er kann sich nicht setzen. Der Nächste ist verblödet u. trägt alles auf seiner Nase (Bonbonpapier, Kronenkorken usw., steht minutenlang auf einem Bein), der Nächste leidet unter »Redezwang«, wenn man so einem drei Stunden lang zuhören muss, hat man das Gefühl, manmüsse mit dem Kopf vor die Wand laufen. Es sieht so »gut« aus, das ist aber rein äußerlich.
Es ist wirklich nicht leicht, zweieinhalb Jahre dort auszuhalten. Aber was will ich, ich bin ja auch krank. Mein halbjährlicher Haftkoller, Verlieren der Nerven, beweist es. Aber es darf nicht ewig so weitergehen. Sonst klinke ich eines Tages auch noch aus.
Aber Gott sei Dank ist im Moment schon Licht zu sehen. Etwas Neues weiß ich noch nicht, von den Fachleuten. Letzte Woche wollten sich die Leute schon entscheiden. Ihr letzter lieber Brief hat mich deshalb so gefreut, weil Sie wenigstens etwas Vertrauen für mich nun empfinden. Es konnte doch auch nicht ewig ausbleiben, bei meiner Offenheit. Ihre Argumente verstehe ich. Die »Justiz« als solche kennt den Menschen nicht. Und da liegt der Hund begraben.
Aber auch das wird nicht so bleiben, wenn die Operation glückt (wenn!) und alle Fachleute u. die Ärzte von hier mich dann unterstützen. Und das tun sie dann, ohne jeden Zweifel! Da ist momentan kein Grund zu verzweifeln. – Wahrlich nicht.
Bis heute ist mir immer noch geholfen worden, wenn ich in großer Not war (zum Beispiel die Einzelzelle geistig nicht mehr verkraftete, oder auch Revision, oder auch 2ter Prozess usw.), allerdings, ich sagte es Ihnen schon, stets in letzter Minute… Na ja, Sie drücken mir ja die Daumen…
In letzter Zeit habe ich ein wenig unter Albträumen zu leiden. Der schlimmste war, als mich die Eltern der Kinder töten wollten. »Nenn uns einen Grund, dich zu verschonen!« Ich fand keinen. Nein, es braucht wirklich niemand zu »befürchten«, etwas Derartiges könne man »vergessen«. Man muss es lebenslang tragen…
Sehr gefreut habe ich mich auch, als Sie andeuteten, mich besuchen zu wollen. Ich warte gern…
Um Ihre Frage zu beantworten, nein, man lässt uns immer noch nicht allein. Hausordnung… Ganz unbewusst, weil das Thema mich bedrückt und quält. Ich kann Ihre Argumentenicht entkräften. Ich habe keine Gegenargumente.
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