Mordsschock (German Edition)
Achse, die brennende Zigarette wie eine Waffe krampfhaft in der Hand.
Eine Person, ganz in Schwarz, sodass in der Dunkelheit nur die Umrisse vage zu erkennen waren, packte einen der herumliegenden Steine und ging drohend damit auf mich los.
„Was wollen Sie? Was soll das? Hilfeee!“, brüllte ich halb wahnsinnig vor Angst. Mein gellender Schrei verhallte ungehört in der Finsternis. Wer kam mir hier schon zu Hilfe? Ich wollte weglaufen, aber meine schlotternden Beine versagten mir den Dienst.
Der Angreifer erwischte die Kapuze meines Pullovers und hielt sie fest.
Wie in Zeitlupe registrierte ich entsetzt, dass er mit dem Stein ausholte, um mir damit vermutlich den Schädel zu zertrümmern.
Ich riss meinen Arm herum und drückte ihm voller Wucht die Zigarette in das von einer dunklen Maske mit zwei winzigen Gucklöchern verhüllte Gesicht.
Offenbar spürte er die brennende Kippe durch den dünnen Stoff. Er jaulte vor Schmerzen auf. Es klang schaurig, als wäre er kein menschliches Wesen, sondern ein Werwolf oder ein ähnliches Ungetüm. Er ließ den Stein sinken.
Ich nutzte den Moment seiner Unachtsamkeit, um mich von ihm loszumachen. Ritsch, der Angreifer hielt ein Stückchen Stoff von meinem Kapuzenpulli zwischen seinen Handschuhen.
Ich rannte los. Die Kraft kehrte in meine Beine zurück. Sie funktionierten wieder. Sie liefen von alleine, ohne dass ich ihnen irgendwelche Befehle übers Gehirn zufunkte. Knackend und stampfend, als wäre ich eine Büffelkuh, pflügten meine Stelzen durch den Wald. Den Rest des geschockten Körpers nahmen sie mit. Sie flogen so rücksichtslos dahin, dass die Tiere des Waldes entsetzt flüchteten. Die raschen Bewegungen pumpten nach einer Weile Sauerstoff ins Gehirn und kurbelten meinen Denkprozess an.
Ich befand mich auf dem Waldweg, von dem ich gekommen war. Allerdings raste ich in die entgegengesetzte Richtung. Weg vom Auto! Umdrehen kam nicht infrage, weil ich an dem Keuchen hinter mir deutlich meinen Verfolger im Nacken ahnte. Schmatzend stob der Matsch unter meinen Füßen zur Seite. Ich sprintete um mein Leben!
Automatisch konzentrierte ich mich auf eine gleichmäßige Atemtechnik, wie ich es jahrelang beim Joggen um die Alster trainiert hatte. Die feuchte Waldluft schoss mir in die Lunge, pfeifend stieß ich sie wieder aus. Ich war zwar etwas aus der Übung, aber mein Verfolger holte nicht auf.
Langsam gewöhnten sich die Augen an die Finsternis. Eine Weggabelung tauchte vor mir auf, die ich deutlich wahrnahm, weil eine kleine Lichtung vom Mondlicht beschienen wurde. Links erkannte ich die Silhouetten riesiger Bäume, die wie am Band gezogen, ordentlich aufgereiht standen.
Ich zögerte höchstens einen Wimpernschlag lang, dann wählte ich diesen Weg. Eine Lindenallee. Von Menschenhand gepflanzt. Das roch nach Zivilisation. Meine einzige Chance, um meinen Verfolger abzuschütteln!
Er kam näher. Ich hörte ihn pusten und nach Luft japsen.
Mit letzter Anstrengung verdoppelte ich das Tempo. Die Linden flogen an mir vorbei. Eine Wiese mit Heckengängen und mächtigen Buchen näherte sich. Der berühmte Barockpark.
Ob Nicolaus von Bernfried wohl je daran gedacht hatte, dass auf den von ihm angelegten Pfaden Jahrhunderte später eine Frau ohne Pferd um ihr Leben galoppierte? Verrückt, welche Gedanken mir in dieser Situation durch den Kopf sausten! Gleichzeitig war dies die einzige Rettung, um gleichmäßig weiterzulaufen und nicht geschockt ins taunasse Gras zu sinken. Entweder ich würde an einem Kreislaufkollaps krepieren oder mein Verfolger würde mich abmurksen. Aber solange ich in der Lage war, beides hinauszuzögern, spurtete ich.
Plumps! Ein leiser Knall. Meine Taschenlampe war aus der Hosentasche gerutscht. Keine Zeit, sie aufzuheben. Nur weiter! Auf der linken Seite tauchten die Umrisse des Herrenhauses und seiner Nebengebäude auf. Mir fiel ein, dass Herbie gesagt hatte, es wäre bewohnt.
Vorsichtig spähte ich über die linke Schulter zurück.
Das Keuchen wurde leiser. Mein Verfolger hielt das Tempo nicht. Ein kleiner Vorsprung.
Ich musste irgendeinen Menschen auf mich aufmerksam machen. Schreien war unmöglich, dazu hätte ich stehen bleiben müssen. Und wer weiß, ob ich überhaupt einen Ton von mir geben konnte? Ich setzte meine Hoffnungen in die Bewohner des Herrenhauses.
Eine breite Hecke und ein Wassergraben verhinderten einen direkten Durchgang vom Park zu den Gebäuden. Also stürmte ich weiter, die Auffahrt hoch, bis ich vor dem offiziellen
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