Mordsschock (German Edition)
Herrenhaus im Wald. Ich zeige es dir mal auf der Karte. Von der Hauptstraße zweigt vor einem Teich, hinter dem das Herrenhaus steht, ein Weg zum Golfplatz ab. Den fährst du entlang und parkst auf dem ersten Waldparkplatz. Von dort aus sind es fünf bis sieben Minuten zu Fuß zur Grabanlage auf der rechten Seite des Waldweges, ein bisschen versteckt hinter einigen Bäumen. Kannst du aber nicht verfehlen!“ Herbie breitete einen Stadtplan von Rosenhagen und Umgebung vor mir aus und fuhr mit seinem schmalen Zeigefinger die Strecke entlang. „Was willst du dort überhaupt?“
„Ich will mich am Wochenende mal ein bisschen in der Gegend umgucken. Allzu viel kenne ich noch nicht. Und von der Grabanlage habe ich neulich mal was im Internet gelesen“, log ich. Rechtzeitig war mir eingefallen, dass das Herrenhausensemble auf der Homepage www.rosenhagen.de erwähnt wurde.
Für den Rest des Tages litt ich unter Konzentrationsstörungen. Nervös holte ich mir einen Kaffee nach dem anderen und rannte deswegen dauernd aufs Klo. Wenn ich nicht meine Blase entleerte oder am Kaffeeautomaten stand, steckte ich mir eine Zigarette an. Rauchen und Trinken. Trinken und Rauchen. Ich könnte an den Kaffeebechern abzählen, ob ich zu diesem merkwürdigen Date gehen sollte! Oder waren die Zigaretten besser?
Die Riechling stellte mir einen Teller mit Keksen hin. Ständig fürchtete sie, ich würde zu wenig essen. Komischerweise glaubten alle Dicken, dass Leute, die nicht ihre Gewichtsklasse besaßen, unter Magersucht litten und warfen einem beim Essen derart strafende Blicke zu, dass einem sowieso der Appetit verging. Der umgekehrte Terror als der, den ernährungsbewusste und diätfanatische Schlankheitsapostel bei Tisch auf Wohlbeleibte ausübten. Beiden gemeinsam war eine ständige Fresskontrolle ihrer Mitmenschen. Heimlich zerbröselte ich die Kekse in den Papierkorb, weil ich beim besten Willen nichts hinunterbrachte.
Ich lief runter in die Technik und guckte nach der Seite mit dem Horoskop. Die einzelnen Schnipsel lagen auf einem Nebentisch. Willy hatte sie noch nicht gesetzt. Amor lässt Sie momentan im Stich. Ja, hatte ich bemerkt. Das war nichts Neues. Beruflich geht es aufwärts. Ungeahnte Chancen bieten sich Ihnen. Ergreifen Sie sie!
Halt, das war es! Mein Herz klopfte ein bisschen rascher. Vielleicht steckte mir der unbekannte Anrufer heute Abend wichtige Informationen zu. Und ich bekam endlich genügend Stoff, um die Geschichte über die Grundstücksverteilung auf sichere Füße zu bugsieren! Mit offenen Augen träumte ich von einer großen Enthüllungsgeschichte, die meinen Namen in aller Munde bringen würde. Wagner müsste mir eine Gehaltserhöhung zahlen, damit ich weiter für sein Käseblatt schreibe, und Gundula würde das dumme Grinsen einfrieren.
Kapitel 13
Trotz aller Euphorie war mir beklommen zumute, als ich am nächsten Abend nach Herbeck fuhr. Hätte ich Jelzick oder Voller mitnehmen sollen?
An einer scharfen Kurve erblickte ich den grünlich schimmernden Teich in der Abenddämmerung, in dem im Winter mancher Autofahrer bei Eisglätte laut Herbie ein unfreiwilliges Bad genommen hatte. Dahinter ragten die ersten Ausläufer des Herrenhausensembles hoch. Niedrige Stallungen duckten sich vor höheren Gebäuden im Fachwerkstil, den sogenannten Gesindehäusern, in denen früher die Bediensteten wohnten. Vom Herrenhaus selber entdeckte ich nur die Turmspitzen. Der gesamte Komplex war aus gelbem Backstein gemauert.
Ich bog in die Straße rechts vor dem Teich mit dem Wegweiser ‚Zum Golfplatz‘ ein. Sie schlängelte sich am Waldrand entlang. Ich stellte den Wagen auf dem ersten Parkplatz, wie Herbie es mir geraten hatte, ab. Das Dickicht der Bäume saugte die letzten Fetzen Tageslicht auf. Einen Moment lang blieb ich im Auto sitzen und spähte in den dunklen Wald, wo mich der Unbekannte erwartete.
Sollte ich es wagen? War es nicht kolossal verrückt, sich in der Einöde mit einem wildfremden Menschen zu treffen? Niemand würde meine Schreie hören! Ich warf eine Münze. Bei Kopf würde ich gehen. Dumpf klatschte sie auf den Beifahrersitz. Plump. Derb. Gefühllos. Ich atmete tief durch. Kopf! Ich musste gehen, sonst würde ich ewig auf der Stelle treten!
Ich dachte kurz an Vic und marschierte los. Kleine Steinchen knirschten unter meinen Turnschuhen. Ich hatte extra ein sportliches Outfit, bestehend aus Jeans und Kapuzenpullover, gewählt. Bei jedem meiner Schritte schaute ich mich ängstlich um, ob mir
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