Mordsschock (German Edition)
höher. Sie stammt aus einer wohlhabenden Familie und brachte das entsprechende Kleingeld in unsere Ehe mit.“
Aha, daher das tolle Haus! Seine Ehrlichkeit fand ich bestechend. „Und jetzt läuft’s nicht mehr zwischen euch?“ Ich ließ diese Frage salopp fallen, als wäre sie unwichtig.
„Künstlerin und Pedant. Das passt nicht. Wir haben uns auseinandergelebt. Eine saubere Trennung ist konkreter als verlogenes Getue. Seit gestern sind wir geschieden!“
„Oh, tut mir leid. Ich wollte nicht ...“
„Kein Grund zur Klage. Wir sind im Guten geschieden. Und nun lass uns über was anderes reden!“ Ken verließ die Autobahn und fuhr die Landstraße entlang an unzähligen Obsthöfen vorbei. Es roch nach Himbeeren mit Schlagsahne. Viel zu schade, um schwülstige Biografien durchzuhecheln! Ich war bereit. Der Zauber begann!
Wir schlenderten eng umschlungen über die von Laternen hell erleuchtete Promenade. Hochsaison. Après-Strand. Touristen und Ausflügler wie wir bevölkerten hier oben alles. Gerüche nach Sonnenmilchresten auf schwitzenden Körpern und Fettgebratenem von den Imbissbuden erstickten die würzige Seeluft. Das Geschnatter der Leute übertönte das Rauschen der Wellen, die sachte an den verlassenen Strand rollten. Auf den einsamen Strandkörben stolzierten Möwen umher. Sie schüttelten ihre Köpfe über die dummen Menschen, die sich freiwillig einem Schwarm eingemachter Ölsardinen gleich auf der Promenade drängten.
Der altrosa gefärbte Abendhimmel verfinsterte sich plötzlich. Wie von magischer Hand gelenkt, schob sich eine rabenschwarze Wolke über uns und schickte einige Tröpfchen auf die Erde.
„Ah, Luft zum Atmen!“ Ken seufzte erleichtert, weil sich die Promenade schlagartig leerte.
Die Situation erinnerte mich an den Platzregen nach Christine Rieckens Tod, der alle Schaulustigen zurück in ihre Löcher getrieben hatte.
„Riechst du das?“ Der Zauberer streckte die linke Hand aus, griff in die Luft und schloss sie. Dann hielt er sie mir unter die Nase. „Ich möchte dir was schenken!“ Er öffnete seine Hand, und ich atmete mit geschlossenen Augen den unsichtbaren Inhalt ein.
Weil mein leichtes Sommerkleid allmählich ein bisschen triefte, die Tröpfchen wuchsen rasch zu Tropfen, gingen wir ins La Fayette . Eines von diesen Restaurants mit weißen Damasttischdecken und passenden, kunstvoll arrangierten Stoffservietten, edlem Kirschbaummobiliar, vergoldeten Kerzenleuchtern, verwirrend viel Besteck neben dem Porzellangedeck, Miniportionen unter imposanten Silberglocken und Kellnern, die zum Sprung bereit hinter den Tischen lauerten, um sofort mit starrer Gesichtsmimik Wein nachzuschenken. Kurz – absolut nicht meine Preisklasse!
„Ich habe etwas für dich.“ Ken zog ein Kästchen aus seiner Tasche.
„Noch mehr gute Seeluft oder einige Regentropfen?“
Er holte ein goldenes Kettchen mit Anhänger hervor. Der Anhänger bestand aus einem zierlich geformten, türkisfarbenen Stein. Jade!
Der Zauberer band mir die Kette um den Hals und betrachtete mich so zufrieden, als wäre alles, was er sah, komplett sein Werk. „Formidable!“ Als Zeichen seiner Begeisterung küsste er die eigenen Fingerspitzen. Eine Geste, die eher zu Jopi Heesters gepasst hätte, um einem gelungenen Abend im Maxim zu huldigen. Dieser Mann steckte voller Überraschungen. Zufrieden blickte er sich nach den anderen Gästen um. „Alle beneiden mich!“
Seine gute Laune kannte keine Grenzen. Der vollendete Kavalier verwandelte sich in den schalkhaften Jungen, der mich zum Lachen brachte. Er ahmte den arroganten Kellner und die affektierten Leute am Nachbartisch nach. „Noch etwas Wirsingsoufflée, Gnädigste? Oder wie wäre es mit pochierten Eiern an gekräuseltem Himbeerschaum unter gedünstetem Zitronenrand?“
Ich betastete meinen Jadeanhänger. Kühl und schwer. Eine beruhigende Wirkung ging von dem Stein aus. Warum war das Leben nicht jeden Tag so einfach? Ich fühlte mich federleicht. Den ganzen Abend über verschwendete ich keinen Gedanken mehr an meinen unbekannten Feind, den Gottesanger oder die toten Politiker. Der Zauber war groß!
„Also, ich weiß ja nicht, wie es dir geht? Ich jedenfalls habe Hunger“, sagte Ken, als wir das Lokal verließen. Was ihn aber nicht daran hinderte, im nächsten Moment das schützende Vordach des Restaurants zu verlassen und in den prasselnden Regen zu springen. Er hüpfte wie ein Verrückter in die Pfützen, sodass das Wasser nur so spritzte und sang
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