Mordsschock (German Edition)
fest in die Augen. „Warum forschen Sie nicht nach, ob die Geschichten, die Praktikanten von kleinen Lokalzeitungen verbrechen, wasserdicht sind?“
Er schnappte nach Luft und drehte sein lächerliches Baseballkäppi, unbedingtes Accessoire für die gewollte Coolness eines Mittfünfzigers vom Fernsehen, zwischen den Fingern.
Mit eisiger Stimme fuhr ich fort: „Wir haben nur eine Auflage von knapp zehntausend, Sie aber ein Millionenpublikum. Oder muss man dann seine Beiträge nicht mehr selber recherchieren?“ Über die Schulter riet ich ihm noch: „Ich würde vor einem Termin mit Mundwasser gurgeln.“
Die Hausanwälte in Flamstadt beschäftigten sich mit den Anwaltsschreiben der Eltern des verunglückten Pärchens. Wagner gelang das Kunststück, sich aus der Verantwortung zu manövrieren. In Voller fand er den idealen Sündenbock. Die Riechling erzählte mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass er in dem Brief, den er ihr diktiert hatte, davon sprach, Voller ständig nach der Sicherheit der Fakten gefragt zu haben. Und dieser hätte bestätigt, alles stünde bombenfest.
Unsere Ausgabe am nächsten Tag zierte eine riesige Gegendarstellung zu ‚Sex bei Tempo 140‘. Makabrer Nebeneffekt war, dass uns die Rosenhagener wieder die Zeitung aus den Händen rissen.
Jelzick schleuderte die Liste mit den sensationellen Verkaufszahlen auf den Konferenztisch. „Aye! Wenn Voller weiter solche Einfälle hat, könnten wir unsere Auflage steigern!“
Voller bekam davon nichts mehr mit, er saß längst in seinem Mazda-Cabriolet auf dem Weg in die Uni, wo er versuchte, im Elfenbeinturm seinen unrühmlichen Praktikantenabgang zu vergessen.
Kapitel 19
Halbzeitpause. Erleichtert rannten die verschwitzten Spieler des 1. FC Rosenhagen gemeinsam mit der gegnerischen Mannschaft vom Feld. Die Zuschauer flüchteten, Wolldecken, Picknickkörbe und Familienanhang im Schlepptau, in den Schatten. Die Julisonne knallte unbarmherzig auf den Fußballplatz. Nur ein kleiner Steppke, einer von diesen begeisterten Minibubis im Nationalmannschaftstrikot, kickte unermüdlich seinen Ball in Richtung Tor und feuerte sich dabei selbst an.
Ken und ich saßen auf der Wiese am Spielfeldrand am Fuße eines Weißdornbusches neben halbvollen Mineralwasserflaschen. Ich beobachtete den filigranen Bau eines Spinnennetzes zwischen den Zweigen. Zarte Ronden, Kreise und Rechtecke versponnen zu hauchdünnen Mosaikmustern. Was für Künstler diese Spinnen waren! Als ich das Tier näher unter die Lupe nahm, vergingen mir die poetischen Anwandlungen.
Winzige helle Pünktchen liefen strahlenförmig von dem weißen Kreuz auf dem Spinnenrücken über den Körper und machten Halt vor den behaarten Beinen. Die Beißwerkzeuge kauten an einer winzigen Fliege herum. Ein Gesicht entdeckte ich nicht. Stattdessen grinste mich das Kreuz auf dem gewölbten Panzer dämonisch an. Die böse Königin lauerte in ihrem selbstgeschaffenen Territorium auf neue Beute. Zielsicher kletterte sie in die Mitte ihrer feinen Fäden, die sich leicht im Wind bewegten. So fand sie stets ihren Schwerpunkt, um sich auszubalancieren. Flügelhälften und Fliegenbeine glitzerten silbrig, ausgesaugt ohne Saft und Kraft, im Netz, täuschend hin- und hergeschaukelt vom Wind. Er gaukelte Leben vor, wo nichts mehr existierte. Die Königin ohne Gesicht hockte in einem Grab.
Eine stupide Stubenfliege schwirrte heran. Dumm, wie sie war, würde sie in die Falle tappen. Ein Sonnenstrahl tauchte das Netz in gleißendes Licht, und die Fliege entging geblendet ihrem Schicksal.
„Warum ist Schönheit immer von Bösem umgeben? Schneewittchen existierte nicht ohne böse Stiefmutter“, orakelte ich, räkelte mich träge auf der Wolldecke und stützte meinen Kopf auf den rechten Arm, weil der linke sich einen kleinen Sonnenbrand eingefangen hatte.
Ken rückte näher.
„Halt! Hier ist mein Schlafzimmer. Zutritt für ledige Männer verboten.“ Ich stopfte spielerisch ein Handtuch zwischen meinen und seinen Teil der Decke.
Er zog ein enttäuschtes Gesicht. Schob die Unterlippe schmollend vor. Dann beugte er sich zur Seite, rupfte Grassoden aus und bewarf mich damit. „Lass uns auf der Wiese ein grünes Zimmer schaffen!“
„Weischt du, dasch der Bürgermeister sich ein neues Haus baut?“, fiel mir ein, während ich auf einem Grashalm nuckelte. Schmeckte wie von der Sonne ausgedörrter Kopfsalat.
„Ja?“ Plötzlich breitete sich ein Grinsen auf Kens gebräuntem Gesicht aus. „Aber der
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