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Mordsschock (German Edition)

Mordsschock (German Edition)

Titel: Mordsschock (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaby Hoffmann
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früher“, Herr Riecken wurde laut, „aber dieses Gefasel von angeblicher Depressivität ist Blödsinn!“
    „Wer sagt das?“ Ich spielte absichtlich die Unwissende. Alle Leute, mit denen ich bisher über Christine gesprochen hatte, beschrieben sie als depressiv, und mir war sie während Kens Party auch nicht gerade als heitere Stimmungskanone erschienen. Für Eltern natürlich keine angenehme Diagnose.
    Unwillkürlich verglich ich Christines Kindheit mit meiner eigenen. Vater und Mutter, die der Tochter alle materiellen Wünsche erfüllten. Jede Menge Raum in Haus und Garten für die eigenen Bedürfnisse. Nie befreite ich mich von diesen Sehnsüchten, die mich glücklicherweise erst plagten, seitdem ich erwachsen war.
    Als Kind vermisste ich nichts, weil ich es nicht anders kannte. Ich teilte mir jahrelang ein Zimmer mit Sophie. Es gab keine blühenden Rosenbeete, sondern nur einen dreckigen Hinterhof. Dort herrschte das Recht des Stärksten. Oh ja, ich wusste mir zu helfen! Kein Junge in der Nachbarschaft, der nicht meine Fäuste zu schmecken bekam.
    In den Umkleidekabinen der Boutiquen trennte ich heimlich die Markenlabels ab und nähte sie zu Hause auf meine Billig-Klamotten. Ich sammelte Leergut, um Pfand zu kassieren, ich zog alten Damen die Portemonnaies aus den Einkaufstaschen und brachte sie ihnen lächelnd als gefunden gegen Trinkgeld zurück. Abends erzählte ich Mutter, wie ich mir das Geld für neue Schulbücher durch kleine Samariterdienste verdient hätte. Zwar gelogen, aber sie freute sich, und das war die Hauptsache! Es gab nichts Schöneres als ihre lachenden Augen, die einem das Gefühl vermittelten, etwas Besonderes zu sein, obwohl man nur ein armes Würstchen war.
    Wie anders es wohl gewesen wäre, hätten Mutter, Sophie, Vic und ich in dem komfortablen Haus der Rieckens gelebt? Vielleicht hätte mein Vater Mutter nicht verlassen, und sie wäre nicht krank geworden? Geld bewirkt vieles. Aber manchmal nützte es trotzdem nichts. Die Familie Riecken war kaputt – wie unsere Familie. Oder war auch diese ganze heile Welt nur Fassade, und es hatte nie dieses Vater-Mutter-Kind-Glück gegeben?
    Ich dachte an die modernen Krimis, in denen weibliche Opfer neuerdings stets in ihrer Kindheit von ihren Vätern, Onkeln oder Nachbarn vergewaltigt worden waren. Das war jedes Mal der Schlüssel zur Lösung des Rätsels, die traurige Pointe sozusagen.
     
    Herr Riecken saß mit Gramfältchen um Augen und Nase, bleichen Lippen gebeugt vor mir. Sein rechter Arm lag beschützend auf der Sessellehne seiner Frau. Sah so ein Mann aus, der Inzest mit der Tochter beging?
    Die Dunkelziffer solcher Fälle mochte ohne Zweifel hoch sein, ließ sich aber nicht blindlings auf jede tote junge Frau übertragen. Nein, die Mail und Christines Andeutungen sprachen gegen ein privates Motiv für ihren Tod!
    „Angeblich hätten alle befragten Parteikollegen ihren Gemütszustand so der Polizei beschrieben. Nun, Christine war eine ernste Natur, aber keinesfalls depressiv. Das haben sich die sauberen Herren ausgedacht, weil es ihnen wunderbar in den Kram passte.“ Herr Riecken schnaubte wütend.
    Ich horchte auf. „Wem kamen Christines angebliche Depressionen gelegen?“
    „Ach, mein Mann glaubt, Christine sei von ihren Parteikollegen geärgert worden. Sie kam von den Zusammenkünften in letzter Zeit genervt nach Hause. Aber dort sind die Männer nun mal in der Überzahl. Frauen haben es schwer in der Politik. Das habe ich Christine auch gesagt, weil ...“
    „Quatsch!“ Herr Riecken unterbrach seine Frau grob, woraufhin sie sich ängstlich auf ihrem Sessel zusammenkrümmte. „Heutzutage sind Frauen nichts Besonderes mehr in der Politik. Und intelligente Frauen wie Christine können dort gut Verantwortung übernehmen. Ich war stolz auf meine Tochter und ihr Engagement. Sie setzte sich entscheidend dafür ein, dass unsere Stadtbibliothek verlängerte Öffnungszeiten bekam. Das mag Ihnen banal erscheinen, aber es ist ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein für das Wohl der Allgemeinheit. Nur in letzter Zeit machte sie öfters Bemerkungen über die Sturheit ihrer Kollegen.“
    „Ja?“
    „Ich denke, sie war einigen von diesen karrieregeilen Jünglingen zu schlau. Sie wimmelten ihre Ideen ab. Christine wurde regelrecht frustriert. Zuletzt ging sie ungern zu den politischen Zusammenkünften. Ich erinnere mich an ihre niedergedrückte Stimmung. Sie sprach nicht darüber. Bestimmt haben die sie unter Druck gesetzt! Wenn Sie

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