Mordsschock (German Edition)
Polizeireporter Jelzick popelte am nächsten Morgen während der Redaktionskonferenz gelangweilt seine Frühstücksreste aus einer Zahnlücke. „Heute ist tote Hose!“, lispelte er, und weil ein Finger noch zwischen den Zähnen klemmte, schaltete er mit den restlichen Fingern das Funkgerät ein.
„Der Peter Heimann ist verunglückt! Tragische Sache!“, meldete sich Herbie zu Wort. „Da könnten wir eine Meldung bringen.“
„Wer is ‘n das?“ Jelzick kratzte inzwischen mit einem Bleistift das Schwarze unter seinen Nägeln hervor.
„Ein Abgeordneter von den Konservativen. Jung – dreiundzwanzig Jahre alt. Aufstrebendes Talent, hoffnungsvoller Nachwuchspolitiker!“
„Umweltausschuss, oder?“, überlegte Gundula.
Herbie nickte. „Er ist zugedröhnt mit seinem Wagen in die Kieskuhle gefahren und hat irgendwie die Kontrolle verloren. Jedenfalls stürzte er mit dem Auto den Abhang runter. Der Wagen landete in der Böschung. Er wurde herausgeschleudert und hat sich das Genick gebrochen. Vermutlich nicht angeschnallt. Der Leichnam trieb am Ufer des Sees.“
„Was hatte er intus?“ Jelzicks Neugierde war geweckt.
„1,8 Promille Alkohol und Ecstasy. Ich habe in deinem Revier gewildert und mit der Polizei gesprochen.“
„Dieser Cocktail reicht, um einen ausgewachsenen Mann kirre zu machen“, bestätigte Jelzick.
„Wissen die schon, was dahinter steckt?“ Wagner trommelte ungeduldig mit einem Filzstift auf die leeren Layoutbögen.
„Keine Hinweise auf Fremdeinwirkung. Die Polizei vermutet Selbstmord unter Drogeneinfluss. Anscheinend hat er alleine im stillen Kämmerchen getrunken. Jedenfalls existieren keine weiteren Zeugen.“
„An der gleichen Stelle ist vor einigen Monaten schon mal einer von diesen Nachwuchspolitikern tödlich verunglückt. Ich glaube, er wickelte sich samt Auto um einen Baum“, bemerkte Jelzick.
„Ja genau, im Herbst. Auch einer von den Konservativen“, stimmte Gundula ihm zu.
„Soll ich nun eine Meldung schreiben?“, bohrte Herbie nach.
„Na gut, machen Sie einen Nachruf! Fünfzig Zeilen inklusive Foto auf der Zwei, links oben!“, befahl der Chef.
Herbie würde es mit einem ‚tragischen Unglücksfall‘ umschreiben. Für Selbstmörder gab es keinen Platz in der Presse.
Ich betrachtete das Foto, das wenig später auf Herbies Schreibtisch lag. Peter Heimanns große Augen schauten ernst und fragend. Ich wusste nicht, warum, aber irgendetwas schienen sie mir sagen zu wollen. Ob er zum Zeitpunkt der Aufnahme schon mit dem Gedanken gespielt hatte, sein Leben zu beenden? In den dunklen Pupillen entdeckte ich jeweils einen hellen Fleck, der darin wie ein Hoffnungsschimmer aufzuflackern schien. Und doch war für ihn nun alles verloren!
Eine halbe Stunde später steuerte ich Tante Carlottas Polo in ein Kaff außerhalb von Rosenhagen, wo mich irgendein Nachbarschaftsstreit erwartete. ‚Rumpel‘ – schon der Name ließ mich an vermüllte Dachspeicher denken. Hätte ich geahnt, auf welchen gefährlichen Job ich mich einließ, wäre ich sofort nach Hamburg zurückgedüst!
Ich kurvte an Äckern und Kuhwiesen vorbei durch eine Siedlung von kleinen, spitzen Einfamilienhäusern aus den 50er-Jahren. In den herausgeputzten Vorgärten standen Stiefmütterchen, Tulpen und Narzissen in exakten Winkeln und Kurven um die Rasenflächen gruppiert. Blau, gelb, rot – immer hübsch abwechselnd. Beim Pflanzen hatten sich die Bewohner viel Mühe gegeben, als ob die Blumenrabatten signalisieren sollten: Seht ihr, bei uns ist alles in Ordnung!
Ein Mädchen in Vics Alter rannte unbekümmert knapp vor meinem Auto über die Straße.
In Gedanken sah ich plötzlich die braunen Augen meiner Schwester vor mir, aus denen sonst die Frechheit nur so sprühte, und die Erinnerung holte mich ein. Groß und traurig wie zwei dunkle Sterne hatten sie mich zum Abschied angeblickt. „Denkst du manchmal an Mutter und unsere kleine Wohnung in der Hasselbrookstraße“, fragte sie leise.
„Natürlich!“ Ich wollte ihr über den Kopf streichen, aber sie drehte ihn so energisch weg, dass ihre Baseballkappe leichte Schieflage bekam.
Vic krauste die Nase und zog sie geräuschvoll hoch. Ihr rechtes Augenlid zuckte ein wenig. Sie presste ihre Lippen fest aufeinander, als könnte sie auf diese Weise das verräterische Beben unterdrücken. Vic hasste Heulsusen – eher biss sie sich die Zunge ab, als eine Träne zu verlieren. Aus ihrem Kindergesicht war alle mutwillige Dreistigkeit, die ihr
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