Mordstheater
Sie seien aus Schottland. Ich schätze, man könnte einen Felsen da oben
für eine Million kriegen.« Es war das einzige, was sie bis dahin gesagt hatte,
aber es war zeitlich ausgesprochen gut angebracht. Ich wechselte Blicke mit
ihr.
»Und Sie, Sophie. Es war doch Sophie, oder?«
sagte der Verleger. »Würden Sie Ihr Sekretärinnendasein aufgeben?«
»Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher«, gab
ich zurück. »Ich habe in den letzten Wochen eine ziemlich ereignisreiche Zeit
erlebt.«
»Wirklich?« sagte er.
»Oh, ja, es war eine Nonstop-Entdeckungsreise...
von den Pinters der Zukunft bis zur gelegentlichen Leiche.«
Die Unterhaltung rund um den Tisch war beim
Erwähnen von Pinter versiegt und kam mit der Leiche endgültig zum Stillstand.
Ich bereute augenblicklich, es gesagt zu haben. Der Kritiker benahm sich derart
herablassend, daß ich mich verpflichtet gefühlt hatte, seine Vorstellungen über
den Haufen zu werfen, aber ich war zu weit gegangen. Ich hoffe, ich fühle mich
eines Tages sicher oder reif genug, der Versuchung zu widerstehen, Leute, die
mich bevormunden, zu schockieren. Ich schaute mich am Tisch um. Zwanzig
Gesichter warteten darauf, daß ich fortfuhr. Ich erklärte die Sache so kurz ich
konnte. Mehrere Leute hatten von Agatha gehört oder die Nachrufe gelesen. Ich
versuchte, die Unterhaltung auf die gesammelten Anekdoten zu lenken, die ich
über die Theater- und Filmwelt aufgeschnappt hatte, aber heute abend glitten
sie mir nicht mit der üblichen Redegewandtheit von der Zunge, und ich fühlte
mich gräßlich oberflächlich.
Der zweite Gang kam, gebratene rote Paprika und
Auberginen mit Pesto aus frischem Koriander, und ich wurde durch einen neuen
Anruf aus den Staaten davor bewahrt, weiterreden zu müssen. Dan blieb dem Tisch
eine ganze Weile fern, und als wir das Essen beendet hatten, standen mehrere
Leute auf und wechselten den Platz.
»Alles in Ordnung?« Anna, die Zahnärztin,
unterbrach welchen Gedankengang auch immer, in den ich versunken war. Ich fand
es sehr schwer, mich zu konzentrieren.
»Ja, danke... das heißt, eigentlich nicht. Ich
hätte wahrscheinlich heute abend nicht kommen sollen. Ich bin nicht sehr gut in
Form.«
»Es muß schrecklich für Sie gewesen sein..., war
sie schon lange krank gewesen?«
»Na ja, sie war wegen einer Grippe nicht zur
Arbeit gekommen. Ich nehme an, sie muß sehr deprimiert gewesen sein... Es war
Selbstmord, wissen Sie.«
»Oh, wie furchtbar.«
»Eine massive Überdosis, glaubt man.«
Anna legte ihre Hand auf meinen Arm, und wir
saßen einige Augenblicke schweigend da. Ich dachte, was für eine liebenswürdige
Zahnärztin sie sein mußte, und stellte mir vor, daß sie fähig war, das
widerspenstigste Kind mit ihrer friedfertigen Gegenwart zu besänftigen. Sie
schien innerlich mit sich zu Rate zu gehen, ob sie weiter auf das Thema
eingehen sollte. Schließlich sagte sie: »Ich denke, der Tod ist wohl etwas,
woran wir uns gewöhnen müssen, wenn wir älter werden, aber das erste Mal, wenn
wir es erleben, ist es schrecklich schwierig.«
Sie beschrieb, wie ihre Mutter gestorben war,
als sie noch ein Teenager war. Ich war von der Ehrlichkeit ihrer Beschreibung
bewegt und erkannte manche der Symptome wieder, die ich in viel
abgeschwächterer Form durchgemacht hatte. Dann sagte sie: »Vor ein paar Monaten
starb eine meiner Patientinnen. Sie war noch jung — in den Dreißigern und ich
fand es sehr schwer, damit zu Rande zu kommen. Wissen Sie, sie hatte eine
schlimme Erkältung, oder Grippe, oder so was, und sie hatte gerade ihre
Weisheitszähne gezogen bekommen. Ich hatte ihr Schmerztabletten verschrieben,
und was anscheinend passiert ist, war, daß sie die nahm, aber sie nahm auch
Mittel gegen Schnupfen ein — wissen Sie, dieses Zitronengetränk und dieser
grüne Sirup für die Nacht? Sehen Sie, alle diese Arzneien enthielten nämlich
Paracetamol, und die Leute sind sich nicht darüber im klaren, wie stark es
wirkt. Sie hat allein gelebt, und ich glaube, sie wird die Warnungen auf der
Packung, sich an die Dosis zu halten, nicht weiter beachtet haben. Als ihr
Freund ein paar Tage nichts von ihr gehört hatte, ging er vorbei und fand sie
im Koma. Dann brachte er sie ins Krankenhaus, aber ihre Leber war irreparabel
geschädigt. Niemand konnte mehr irgend etwas tun, und sie starb.«
»Gott, wie schrecklich«, sagte ich. Es kam mir
erbärmlich unangemessen vor, das zu sagen, und ich wünschte mir nicht zum
ersten Mal, daß es ein besseres Vokabular
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