Mordstheater
Stück las, bekam aber keine
Gelegenheit dazu.
»Wer will sie sprechen?« rief er.
Ich nannte meinen Namen und blieb eine Weile am
Apparat und wußte nicht, ob er Dorothy holte oder einfach den Hörer
liegengelassen hatte. Schließlich sprach sie am anderen Ende.
»Was wollen Sie?«
Ich war so bestürzt, daß ich sekundenlang nicht
reden konnte.
»Ich habe mich gefragt, ob ich wohl zu der
Beerdigung kommen könnte?« sagte ich endlich. Ich war mir nicht mehr länger
sicher, warum ich es unter diesen Umständen wollte.
»Es ist eigentlich nur für die Familie, aber ich
vermute... Nun, ich kann Sie wohl kaum davon abhalten, oder? Golders Green
Krematorium. Zehn Uhr.«
Und sie legte auf.
Ich bezweifle, ob ich überhaupt zu der Beerdigung gegangen
wäre, wenn es nicht an dem Abend beim Essen eine Diskussion gegeben hätte.
Ich kenne Donny und Dan fast so lange, wie die
beiden sich kennen. Sie hatten sich einander bereits vorgestellt, als ich zum
Vorsprechen der Theaterneulinge in unserem ersten Semester in Cambridge kam,
und sie sind seit diesem Tag immer zusammengewesen.
Wie Donny sagt: »Gott sei Dank mußten wir unser
erstes Semester nicht mit einer sexuellen Krise verbringen. Wir haben uns nur
gesehen und das war’s dann. Wir wußten, wir waren ein Paar alte Tunten, die
füreinander gemacht sind.«
In Cambridge verbrachte ich wohl mein halbes
Leben im Zimmer eines der beiden, trank Tee und aß gute Schokoladenkekse bei
Dan oder Champagner und Appetithäppchen bei Donny. Sie waren als großartige
Gastgeber bekannt, und ich zählte sie zu meinen besten Freunden. Seit Cambridge
haben wir uns ein wenig auseinandergelebt. Sie gingen für zwei Jahre in einem
alten Cadillac auf eine Rundreise durch Amerika, und als sie zurück nach
England kamen, überraschten sie alle damit, daß sie sich ein verfallenes
Bauernhaus in Dorset kauften und dort lebten, während Donny versuchte, es
instand zu setzen, und Dan seinen ersten Roman schrieb. Schließlich schaltete
Donny einen Maler ein, und sie konnten das Haus zu einem angemessenen Profit
verkaufen und nach London ziehen. Dans erster Roman wurde vor einiger Zeit in
England veröffentlicht, aber von einigen wenigen durchwachsenen Besprechungen
abgesehen, brachte er sehr wenig ein. Der Grund für die Dinnerparty — »Das
heißt natürlich, wenn man überhaupt je einen Grund für eine Dinnerparty
braucht«, wie Donny sagte, als er die Tür öffnete — war, daß er gerade in
Amerika veröffentlicht worden war, das Stadtgespräch war und die oberen Zwanzig
der Bestsellerliste erreicht hatte. Die Taschenbuchrechte wurden just, während
wir beim Essen saßen, in New York versteigert, und Dans Agent in New York rief
etwa jede Stunde an und brachte uns auf den neuesten Stand, was den Preis
anbetraf.
In dem riesengroßen Wohnzimmer in ihrer
Hochparterrewohnung im Ladbroke Grove war eine ausgedehnte Tafel für ungefähr
zwanzig Gäste gedeckt. Der Raum war mit Kerzen erleuchtet, die in einem
enormen, modernbarocken Kronleuchter steckten, der an einer Stuckrosette in der
Mitte der Zimmerdecke aufgehängt war. Eine ausgewachsene Palme in einem
Terracottatopf stand in dem vorhanglosen Erkerfenster, und zwei große Spiegel
mit goldenen Rahmen, deren Beschichtung porös und rissig war, hingen an
gegenüberliegenden Wänden. Die Wände sahen aus, als seien sie bis auf den Putz
abgezogen worden, um gestrichen zu werden, aber ich hörte, wie Donny beschrieb,
welche Mühe es gekostet hatte, sie so aussehen zu lassen — »verzweifelt« war
das Wort, das er gebrauchte — , und mir wurde klar, daß der Effekt beabsichtigt
war. Ich kannte etwa die Hälfte der Leute im Raum. Ich war ein bißchen spät
eingetroffen und wurde an das Tischende gesetzt, das Dan am nächsten war, aber
am weitesten von meinen Freunden entfernt.
»Da ist sie ja endlich!« sagte Donny und zog
meinen Stuhl zurück. »Ich hoffe, sie wird euch nicht zu sehr langweilen.«
Dan lächelte entschuldigend. Er ist der bei
weitem weniger schrille von beiden und manchmal machen Donnys tundge Possen ihn
verlegen.
Donny stellte mich vor. Die anderen um mich
herum waren ein Literaturkritiker, eine ziemlich schüchterne Zahnärztin, die
neue Freundin von Donnys Bruder David, die durch Donnys rücksichtslose
Platzverteilung genötigt worden war, sich an das andere Tischende zu setzen,
und ein relativ berühmter Friseur, dem es aus irgendeinem Grund erlaubt worden
war, bei seiner Freundin, einem Fotomodell, zu sitzen.
»Ich
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