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Mordstheater

Mordstheater

Titel: Mordstheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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marschierten langsam mit dem Sarg herein
und setzten ihn auf dem Katafalk ab. Anthony und ich sprangen auf und stellten
im gleichen Moment fest, daß wir die einzigen anderen Trauergäste waren. Ich
kann mich nicht an viel von dem, was der Vikar sagte, erinnern. Ich weiß noch,
daß ich es schrecklich fade fand. Er hatte offensichtlich keine Ahnung, wer die
Verstorbene war. Die alte Dame mischte sich an einem Punkt mit recht lauter Stimme
ein: »Ist sie in der Kiste da drüben?«
    »Ja, das ist sie«, antwortete Dorothy leise und
nahm die alte Frau beim Arm.
    »Ach je, dieser Anblick gefällt mir überhaupt
nicht«, sagte sie und verstummte dann wieder.
    Dann setzte das Band wieder ein und spielte ein
unerkennbares Kirchenlied, die Türen hinter dem Sarg öffneten sich, und er
wurde außer Sichtweite gekurbelt. Alles, woran ich denken konnte, war, wie
klein der Sarg schien und wie groß und leer die Kapelle. Sie war wie eine
kleine viktorianische Kirche, aber es gab keine religiösen Bilder irgendeiner
Art. Ich schätzte, daß fast hundert Leute darin Platz gefunden hätten. Zum
ersten Mal in ihrem Leben, dachte ich und schniefte, schaffte Agathas Präsenz
es nicht, den Raum zu füllen.
    Der Vikar deutete an, daß wir gehen sollten. Ich
vermute, er wollte nicht, daß wir in die nächste Beerdigung gerieten. Ich hatte
bemerkt, daß Leichenwagen in der Gegend herumkurvten, als ich ankam. Es war ein
bißchen wie die Warteschleife am Heathrow Airport. Es gab offensichtlich feste
Viertelstundenplätze mit rigoroser Verkehrskontrolle.
    Dorothy half der alten Frau zur Tür. Sie trug
denselben langen schwarzen Mantel, den sie im Krankenhaus angehabt hatte; fast,
als ob sie es gewußt hätte, dachte ich.
    Anthony rührte sich nicht, bis sie draußen
waren. Ich folgte ihm. Hinter der Kapelle war ein Kreuzgang, wo die Blumen des
Tages unter Namensschilder der Verstorbenen gelegt worden waren. Unter Agathas
Name war praktisch ein ganzes Blumengeschäft, darunter ein riesiges Kreuz aus
weißen Rosen und ein scheußliches Arrangement aus purpurnen Chrysanthemen, die
das Wort MAMA buchstabierten. Dorothy, die sofort sah, daß etwas
durcheinandergeraten war, marschierte direkt zu der Mauer, zog das Namensschild
aus seiner Halterung und tauschte es mit dem unter dem Bogen daneben aus. Die
vielgeliebte Mutter hatte Margaret Brown geheißen. Der Fehler war trivial
genug, aber er brachte mich zum ersten Mal an diesem Tag zum Weinen, besonders
weil der Kontrast zwischen den Blumenhuldigungen so deutlich war.
    Unter Agathas Name ruhte nun das kleine, aber
wunderbar geschmackvolle Arrangement aus Veilchen, wilden Blumen und Kräutern,
das auf dem Sarg obenauf gelegen hatte, und daneben eine einzelne samtige,
tiefrote Rose, mit einer Karte dazu, deren Widmung nach unten gekehrt war. Ich
dachte, es wäre zu unverschämt, sich zu bücken und zu lesen, was darauf stand,
obwohl ich sehr gern gewußt hätte, wer eine so ungewöhnliche Anerkennung
geschickt hatte.
    Wir vier standen so weit auseinander, wie wir
konnten, und schauten die Blumen an. Die alte Dame begann, etwas zu murmeln,
sah dann Anthony an und sagte: »Ach je, Sie sind alt geworden.« Dorothy zog sie
heftig zurück.
    Dann ging Anthony einen entschiedenen Schritt
weiter weg. Es war mir an diesem Tag noch nicht richtig gelungen, sein Gesicht
zu sehen, aber ich erhaschte einen flüchtigen Blick darauf, als er fortging. Es
war rot und vom Weinen verquollen. Er hielt mit einer Hand ein großes
Taschentuch fest, schien sich aber nicht darüber im klaren zu sein, daß seine
Nase lief. Ich ließ ihn mehrere Schritte Vorgehen und folgte ihm dann. Dorothy
hatte die ganze Zeit über keinen einzigen Blick mit mir gewechselt. Als ich das
Grundstück des Krematoriums verließ, schaute ich zurück und sah, wie sie der
alten Dame in das Bestattungsauto half. Sie fuhren an mir vorbei, zwei winzige
Gesichter, die über dem Rücksitz einer großen Limousine schwebten.
    Die ganze Zeremonie hatte knapp unter fünfzehn
Minuten gedauert. In später Einsicht wünschte ich mir, daß ich das Taxi
behalten hätte, weil es noch genauso stark regnete und ich keine Ahnung hatte,
wo ich war. Ich entschied, nach links zu gehen und begann in der Hoffnung
loszulaufen, früher oder später auf eine Bushaltestelle oder U-Bahn-Station zu
stoßen.
    Mit einer Sache hatte Martin recht behalten. Ich
hätte nicht hingehen sollen. Es war ein bemitleidenswert schäbiger Abgang
gewesen für einen so farbigen Menschen wie

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