Mordstheater
Agatha. Ich fing langsam an,
äußersten Unmut Dorothy gegenüber zu verspüren. Wie schlimm ihre Fehde mit
Agatha auch immer gewesen sein mochte, ich empfand es als flegelhaft, daß sie
ihr einen so dürftigen Abschied bereitet hatte. Es sei denn..., es sei denn, es
war ein absichtlich gedämpfter Abschied, der darauf angelegt war, so wenig
Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu ziehen. Ich erinnerte mich an mein
Gespräch mit Dorothy vom Tag davor, wenn man diese paar knappen, groben Worte
ein Gespräch nennen konnte. Warum hatte sie sich mir so in den Weg gestellt,
fragte ich mich. Soweit ich wußte, war sie die letzte Person gewesen, die
Agatha am Mittwoch bei Bewußtsein gesehen hatte, nachdem ich gegangen war.
Hatten sie sich vielleicht wieder gestritten? Trotz Martins Spott war ich nach
dem Aufwachen nicht vollkommen geneigt gewesen, die Schlußfolgerung zu
verwerfen, die mir in der Nacht davor so einleuchtend vorgekommen war. Während
ich durch die Pfützen stapfte, fragte ich mich, was ich, wenn überhaupt, tun sollte.
Schließlich fand ich die U-Bahn-Station und nahm
die Northern Line zum Leicester Square. Es hatte aufgehört zu regnen, als ich
bei der Arbeit ankam, aber ich war immer noch naß und fühlte mich kalt. Anthony
war nicht gekommen, und Janet lechzte nach einem minuziösen Bericht von der
Beerdigung.
»Ach laß mich doch in Ruhe, Herrgott noch mal!«
raunzte ich und nahm die Post mit in Agathas Zimmer, um sie dort zu öffnen.
Mehrere Schreiben erforderten Agathas Unterschrift, und ich begann daran zu
verzweifeln, wie wenig Anleitung ich von Anthony erhielt. Erwar seit Dienstag
nicht im Büro gewesen. Er hatte anscheinend gewollt, daß ich weiter blieb,
damals, und doch gab es nicht viel, das ich ohne seine ausdrückliche Zustimmung
tun konnte. Unerledigte Post stapelte sich auf Agathas Schreibtisch, und ich
haßte die mangelnde Professionalität, wegen der ich sie nicht in Angriff nehmen
konnte. Ich hätte an diesem Tag meine Kündigung angeboten, wenn es
irgendjemanden gegeben hätte, der dafür zuständig gewesen wäre.
Ich riß einen dicken cremefarbenen Umschlag auf
und dachte dabei, daß mir die Schrifttype bekannt vorkam. Innendrin steckte ein
Blatt Büttenpapier. Darauf stand: »ERINNERE DICH AN DEN TAG DES SCHAKALS«, das
war alles.
Mir fiel die Notiz ein, die wenige Tage davor
eingetroffen war, und ich zog sie aus dem Stapel auf dem Schreibtisch. Die
beiden Schrifttypen waren gleich, und vorher hatte es noch eine dritte gegeben.
Ich konnte mich nicht erinnern, was darin genau gestanden hatte, aber die
Botschaften wirkten langsam sehr bedrohlich. Ich zitterte. Ich hatte noch nie
einen anonymen Drohbrief gesehen. Ich dachte, sie existierten nur in Filmen und
Kriminalromanen. Ich versuchte mich zu erinnern, was in Tag des Schakals geschah. Es kam ein Mordversuch an dem französischen Präsidenten vor, glaubte
ich. Ich wußte nicht mehr, ob er erfolgreich gewesen war oder nicht. Es war
lange her, daß ich den Film gesehen hatte.
Ich lief im Zimmer herum und versuchte zu
entscheiden, was ich tun sollte. Eine Frau war unter Umständen gestorben, die
mir verdächtig erschienen, und sie hatte drei Drohbriefe erhalten. Ich hatte
mich den ganzen Vormittag über gefragt, ob ich mich an Mr. Middlemarch wenden
und ihm von meinen unausgegorenen Verdächtigungen erzählen sollte, hatte mich
aber beherrscht. Jetzt bekam ich allmählich das Gefühl, daß es meine Pflicht
war, ihn anzurufen. Es nicht zu tun würde heißen, ich hielt Beweismaterial
zurück. Vor der Befragung hatte er mir seine Karte überreicht. Ich fand sie
hinten in meinem Filofax und wählte nervös die Nummer.
Ich glaube, meine Erklärung muß ziemlich
eigentümlich geklungen haben. Mr. Middlemarch unterbrach mich gelegentlich, um
zu sagen, daß er vollkommen sicher sei, daß es nichts Verdächtiges gab. Aber
ich beharrte auf einigermaßen konfuse Weise darauf, und am Ende — mehr aus
Höflichkeit als aus Interesse, hatte ich das Gefühl — willigte er ein, jemanden
vorbeizuschicken. Es war fast fünf Uhr, und Janet sammelte ihre Sachen ein, um
zu gehen, als der uniformierte Beamte kam. Ich hatte entschieden, meine Theorie
nicht mit ihr zu diskutieren. Falls ich recht hatte mit Agathas Tod, war es
zwingend erforderlich, daß ich niemandem etwas erzählte, dem ich nicht
vollkommen vertraute. Falls ich nicht recht hatte, konnte ich die Aussicht
darauf, daß sie mich damit aufziehen würde, nicht ertragen. Ich hatte
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