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Mordstheater

Mordstheater

Titel: Mordstheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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meine
Eltern etwa im gleichen Alter waren, in der selben Stadt zur selben ungestümen,
kommunikativen Zeit gelebt und Interessen und Überzeugungen geteilt hatten?
Nein. Und doch, dachte ich, als der Zug wieder losfuhr, wenn es nach Agatha
gegangen wäre, würde ich nicht existieren.
    Ich wunderte mich, daß meine Gefühle Agatha
gegenüber sich deswegen nicht geändert hatten. Es schien überhaupt nichts mit
mir zu tun zu haben. Ich mochte buchstäblich der Gegenstand einer Diskussion
gewesen sein, aber auch nicht mehr als das. Ich konnte gegen Agatha keinen Zorn
hegen, weil sie zur Abtreibung geraten hatte. Alles, was ich von ihr wußte,
wies darauf hin, daß sie der Prototyp einer Feministin war, was ich bewunderte.
In ihrer sonderbaren, herrischen Art hatte sie wahrscheinlich nur versucht zu
helfen. Trotzdem gibt es eine bestimmte Weise, wie man etwas sagt, und ich
bekam den Eindruck, daß sie ein sehr kalter Mensch gewesen sein mußte, wenn sie
so mit meiner Mutter gesprochen hatte. Was noch wichtiger war, es hatte sie
überhaupt nichts angegangen. Sie wollte offensichtlich jeden und alles um sich
herum kontrollieren. Was für ihre Arbeit völlig in Ordnung war, aber es schien
ihr ansonsten nicht viel Freunde eingebracht zu haben. Das Bild von ihr, wie
sie in ihrer schmuddeligen Wohnung lag, ging mir wieder durch den Kopf.
Vielleicht war es letztendlich doch Selbstmord gewesen. Es schien sich
anzubieten für jemanden, der selbst seinen Tod unter Kontrolle haben muß. Aber
nein, je mehr ich versuchte, mich selbst davon zu überzeugen, daß Agatha sich
umgebracht hatte, desto weniger überzeugt war ich.
    Ich erinnerte mich, wie ich sie eines Tages im
Oktober beobachtet hatte, als sie auf dem Weg ins Büro den Soho Square
überquerte. Sie war etwa dreißig Meter vor mir und wußte nicht, daß ich hinter
ihr ging. Es war ein kalter Morgen, aber das herbstliche Rot der Bäume schien
zu glühen, als die ersten Sonnenstrahlen durch einen fast rauchigen Dunst
hindurchbrachen. Agatha hüpfte hin und her und zermalmte Blätter mit ihren
Schuhen wie ein Kind, offenbar erfreut über das Geräusch, das sie machten. Es
war das Benehmen eines Menschen, der das Leben liebt.
     
    Als ich zurückkam, war eine Nachricht von Martin
auf meinem Anrufbeantworter. Ich entschied, daß es zu spät war, um ihn
zurückzurufen, aber ich fühlte mich hellwach, und so fing ich an, die Wohnung
aufzuräumen, was ich die ganze Woche über vernachlässigt hatte. Ich warf die
Sonntagszeitungen von letzter Woche weg, da ich wußte, daß ich sie jetzt
sowieso nicht mehr lesen würde. Glücklicherweise kann ich sagen, daß ich die
Angewohnheit abgelegt habe, Zeitungen in der Erwartung aufzubewahren, daß ich
sie eines Tages lesen und die Artikel, die mich interessieren, ausschneiden
werde. Ich erledigte den Abwasch und staubsaugte das Wohnzimmer. Mit das Beste
daran, keine Nachbarn zu haben, ist, daß ich, zu welcher Nachtzeit auch immer,
soviel Krach machen kann, wie ich will. Es bereitet mir viel Vergnügen, während
der frühen Morgenstunden zu staubsaugen; es ist eines der Zeichen meiner
vorgeblichen Freiheit. Bevor ich meine Wohnung in Primrose Hill kaufte, wohnte
ich in einem gemieteten Apartment in Belsize Park, wo meine Nachbarn darunter
so neurotisch waren und die Schallisolierung so unzureichend, daß sie sich
regelmäßig beschwerten, wenn ich nach Mitternacht ins Bad ging.
    In meinem Schlafzimmer lag ein riesiger Haufen
Schmutzwäsche, und ich machte mich daran, ihn in zwei Stapel zu sortieren:
einen für die Reinigung und einen für den Waschsalon. Unter dem letzten Paar
Leggins entdeckte ich Agathas tragbares Diktiergerät und ein paar Dokumente.
Ich konnte mir nicht erklären, was sie dort taten, aber dann fiel mir ein, daß
ich sie nach meiner unbesonnenen Erkundung letzten Montag in Agathas Wohnung
mitgenommen hatte. War das wirklich erst weniger als eine Woche her? Ich hatte,
was mir wie eine Ewigkeit vorkam, bei der Arbeit gesessen und mich darüber
beschwert, daß ich nicht weiterkam, weil Anthony nicht da war, und die ganze
Zeit über hatte ein volles Zwanzigminutenband zu Hause auf meinem
Schlafzimmerfußboden vor sich hin geschmachtet. Ich kramte meine Aktentasche
hervor, für die ich keine Verwendung mehr gehabt hatte, seit ich die Bank
verließ, und stopfte alles hinein. Dann zog ich die verzierten weißen Laken vom
Bett ab und versuchte, nicht daran zu denken, warum sie in erster Linie
aufgezogen worden waren, und legte sie

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