Mordsucht
möglicherweise einen Serientäter gab? Bei seiner Lage und den Belastungen, denen er und sein Team im Moment ausgesetzt waren, nahm ich es ihm nicht übel, wenn er sich kaum für mich und mein Anliegen interessierte.
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Machen Sie ja sonst auch.« Er gab mir die Ordner zurück. »Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich mich nicht weiter damit befassen kann.«
Ich nickte. »Sicher hab ich das.«
»Sofern Sie bahnbrechende Entdeckungen machen, geben Sie mir Bescheid, andernfalls arbeiten Sie und Balke auf eigene Faust.«
Ich wartete auf den Zusatz: »Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns um alte Delikte zu kümmern.« Aber er blieb aus.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht …«, begann er und nahm sein Brot.
Ich verstand die Aufforderung, wünschte ihm noch einen guten Hunger und verschwand schnell aus seinem Blickfeld.
Als ich zurück zum Büro ging, wurde mir klar, dass ich niemals Leiter einer Mordkommission werden wollte. Die Aufgaben eines Ermittlers waren hart, aber die Belastungen, denen Schroer bei jedem aufsehenerregenden Fall ausgesetzt war, würden manch starken Mann zerbrechen lassen. Ich zählte mich ohne Zweifel dazu.
»Und?«, rief mir Diana entgegen, als ich den Raum betrat.
»Wie prophezeit. Er hat sich kaum dafür interessiert und uns volle Handlungsfreiheit gelassen. Was ist mit Meyer? Hast du ihn erreicht?«
Sie nickte. »Er war nicht begeistert, dass wir vorbeikommen wollen, erst als ich meinen Charme hab spielen lassen, hat er zugesagt. Er erwartet uns.«
»Sollen wir los?«
»Ich sag Jürgen Bescheid, dann können wir.«
»Okay, ich warte bei meinem Wagen.« Ich hätte fast gesagt: »Und rauch mir noch eine«, verkniff es mir aber, bevor es herausrutschte. Alte Gewohnheiten wurde man doch nicht so leicht los …
Eine halbe Stunde später standen wir vor Meyers Wohnhaus in Krefeld-Fischeln. Von außen wirkte das Einfamilienhaus gepflegt und hochwertig. Dass die Pension eines Ermittlers vielleicht nicht so winzig ausfiel, wie ich befürchtete, beruhigte mich.
Diana betätigte die Klingel und nach ein paar Sekunden öffnete sich die Haustür. Ein älterer Herr stand uns gegenüber, den ich nach genauerem Hinsehen als Kalle Meyer erkannte. Ich hatte ihn zuletzt im Jahr 2008 gesehen, seitdem schien er schneller gealtert zu sein, als es ihm lieb gewesen sein dürfte.
Bevor er in den Ruhestand ging, hatte ich bewundert, dass er seinen Geist und seinen Körper stets fit hielt. Jetzt schien er erschöpft und gebrochen zu sein.
»Hallo, Tomas.« Er gab mir die Hand. »Und wer ist die hübsche, junge Dame da neben dir?« Seine grauen Augenbrauen zogen sich neugierig hoch.
»Diana Balke, Mordkommission.« Sie gab ihm ebenfalls die Hand. »Schön Sie kennenzulernen, Herr Meyer.«
Er winkte ab. »Nicht so förmlich, du darfst mich gern Kalle nennen.«
»Gut … Kalle.« Sie entspannte sich und lächelte.
»Kommt rein, kommt rein.« Er hielt uns die Haustür auf. »Immer geradeaus.«
Ich ließ Diana den Vortritt und folgte ihr ins Wohnzimmer. Die Einrichtung schien ebenso gepflegt und hochwertig wie das Haus selbst. Kalle ließ es sich richtig gut gehen im Ruhestand. Jedoch störte mich etwas, seitdem wir das Haus betreten hatten. Ein eigenartiger Geruch lag in der Luft. Er war unangenehm und aufdringlich, aber meine Höflichkeit verbot es mir, ihn darauf anzusprechen.
Wir setzten uns an einen Wohnzimmertisch auf eine gigantische Couch. Ich sah mich um. Teuer aussehende Gemälde an der Wand, Schränke aus dunklem Holz und eine fehl am Platz wirkende Ecke, in der ein Schreibtisch samt Computer stand. Alles wirkte alt und edel, nur seine Technikecke wollte sich nicht ins Gesamtbild einfügen. Anscheinend kamen sogar alte Leute nicht mehr ohne den Fortschritt aus.
»Also, worum geht's?« Kalle wollte sich nicht mit Small Talk aufhalten, er kam gleich zur Sache.
Ich breitete die Akten auf dem Tisch aus. Er warf nur einen kurzen Blick darauf, als kenne er nach all den Jahren noch sämtliche Fakten.
»Es geht um die unidentifizierte männliche Leiche von 2007 und um den 22-jährigen Henry Malik«, erklärte ich ihm.
Er nickte. »Lang ist's her …« Er sah mich eindringlich an. »Habt ihr etwa neue Beweise gefunden?« Seine Augen leuchteten auf. Gerd Baack schien nicht übertrieben zu haben, Kalle mussten die Morde bis heute beschäftigt haben.
»Nein, wir stehen noch am Anfang. Wir hatten den Auftrag, die kalten Fälle durchzugehen, und
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