Mordsucht
Diana wollte zu Jürgen, um zu erfahren, ob Obduktion oder Spurenauswertung etwas ergeben hatten. Mich zog es zu meinem Schreibtisch. Ich ließ mich auf den Bürostuhl fallen, legte den Kopf in den Nacken und meine Hände aufs Gesicht. Fast zwei Stunden umsonst vergeudet. Kalle erfüllte nicht meine Erwartung und wir wahrscheinlich nicht seine. Warum hatte er so abweisend auf uns reagiert? Eine Frage, die ich vermutlich nie beantworten konnte.
Ich setzte mich aufrecht hin und beschloss, keine weitere Zeit zu vergeuden, während ich die Akten über meiner Tastatur ausbreitete, um mir erneut Notizen und Bilder beider Verbrechen anzusehen. Vielleicht entdeckte ich endlich einen Zusammenhang, je öfter ich sie mir ansah. Nur ein kleiner Hoffnungsschimmer, aber es kam immer wieder vor. Aus diesem Grund betrachteten mehrere Beamte hintereinander die kalten Fälle, weil es die Chance gab, dass dem einen etwas auffiel, was der andere übersah.
Ich zermarterte mir den Kopf, als ich meinen Blick zwischen den Tatortfotos hin- und herschweifen ließ. Es musste doch einen Beweis geben, wenn es derselbe Täter war, oder nicht? Jeder Serienmörder war auf seine Art ein Perfektionist auf seinem Gebiet. Sie wollten, dass die Polizei und die Öffentlichkeit wussten, welche Leichen zu ihnen gehörten, und hinterließen deshalb ein Markenzeichen. Entweder töteten sie stets auf die gleiche Weise oder legten den Opfern ein Erkennungszeichen bei. Hier war das nicht der Fall, dennoch war ich mittlerweile ziemlich sicher, dass sie ein und demselben Killer zuzuschreiben waren.
Ich zuckte zusammen und fegte fast die Dokumente vom Tisch, als mein Handy klingelte. Mit zitternden Fingern nahm ich es in die Hand. Zitterte ich vor Aufregung oder weil ich mich erschreckt hatte?
Ich sah auf das Display, mein Magen verkrampfte sich leicht. »Hallo, Gerd. Bist du fündig geworden?«, platzte ich sofort mit dem heraus, was mich im Moment als Einziges interessierte.
»Leider ja«, sagte Gerd. »Ich hab's dir per E-Mail geschickt. Eine Sache in München, die passen könnte.« Er räusperte sich. »Du würdest dich wundern, wie viele ungeklärte Morde ich gefunden habe, in denen den Personen Gliedmaßen oder Organe fehlten. Es waren aber alles Frauen, nur ein Fall mit einem Mann.«
Ich achtete nicht weiter auf seine Ausführungen, während ich mein E-Mail-Konto öffnete und die digitale Akte runterlud.
»Vielen Dank, Gerd.«
»Keine Ursache, wenn ich mehr finde, ruf ich dich an.«
Ohne mich zu verabschieden, legte ich auf und öffnete das PDF-Dokument. Der Mord war im letzten Jahr geschehen und war noch Bestandteil einer laufenden Ermittlung. Erst gestern hatte jemand die Datei aktualisiert und ein paar Details notiert.
Ein Mann wurde in einem Hotel in der Nähe des Oktoberfestplatzes tot aufgefunden, die Leiche entstellt. Eine Sache ließ mich mit dem Mauszeiger verharren. Neben ihm hatte in einer großen Blutlache eine Frau gelegen. Ihr wurde in den Hinterkopf geschossen und als Schalldämpfer hatte der Mörder ein weißes Kissen benutzt …
Kapitel 22
Oktober 2012
Wie hatten sie ihn überreden können? Die Menschen, um die er sich eigentlich einen Dreck scherte, brachten ihn dazu, sie auf einen Betriebsausflug zum Oktoberfest zu begleiten. David konnte nicht behaupten, diejenigen zu hassen, denen er täglich auf der Arbeit begegnete, aber mit ihnen auch die Freizeit zu verbringen, war das Dümmste, was er seit Langem getan hatte.
»Komm doch mit« , hatten sie ihn aufgefordert.
»Das wird bestimmt spaßig!« , versprachen sie ihm.
»Sei kein Weichei!« , machten sie sich über ihn lustig.
Seine Kollegen ließen nicht locker, bis er schließlich einknickte und einwilligte, zu einem der größten Feste in Deutschland mitzukommen. Für ihn war dieser Ausflug nur die Verschwendung wertvoller Zeit, die er beileibe hätte besser verwenden können. Zum Beispiel seine Versuche voranzutreiben wäre ein effektiverer Zeitvertreib gewesen, statt wie eine Sardine in der Büchse eingequetscht in einem Zelt zu stehen und sich sinnlos Bier in den Hals zu schütten. Von Alkohol hielt David nicht viel, aber die Gruppendynamik verselbstständigte sich, und sobald er eine Maß geleert hatte, drückte ihm einer seiner Kollegen ein neues Glas in die Hand.
Die Musik im Festzelt gefiel David, das war aber auch alles. Die durch die Wärme entstandenen Ausdünstungen von hunderten Körpern verpesteten die ohnehin schwere Luft. Zwischendrin
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