Morenga
sei, ein unterentwickeltes, rückständiges Land zu zivilisieren. Das sei um so dringlicher geworden, da bislang ausschließlich die Engländer auf diesem Gebiete tätig gewesen seien. Zu den vornehmsten Aufgaben der Nation der Dichter und Denker gehöre es aber, das Wilde zu kultivieren. Darauf erhebe er jetzt das Glas und auf ein gutes Geschäft.
Das finanzielle Risiko war, darüber waren sich die Herren in den vorangegangenen Verhandlungen schnell einig geworden, nicht groß, da das geplante Unternehmen lediglich ein kleines Stammkapital benötigte, und zwar in Höhe von 800000 Mark. Das würde ausreichen für den Kauf einiger Blechtöpfe, Gewehre, Glasperlen und größerer Mengen Branntwein. Diese Anfangsinvestitionen waren für den Erwerb des Landes notwendig, wobei man auf die segensreiche Vermittlung der deutschen Missionare hoffte. Da eine Landgesellschaft nicht sehr arbeitsintensiv ist, waren auch die festen Kosten gering anzusetzen: die Gehälter für einen Geschäftsführer, einige Landvermesser, Geologen sowie deren Gehilfen. Die Landaufkäufer würden auf Provisionsbasis arbeiten.
Es hieß, dieses Land sei reich an Rohstoffen. Kupfer trat an einigen Stellen offen zu Tage, und zwar in größeren Mengen, und seit Jahrzehnten hielt sich das Gerücht, daß es im Lande Gegenden gäbe, wo man Diamanten einfach vom Boden aufsammeln könne.
Die Herren waren sich darüber im klaren, daß niemand von ihnen das persönliche Vergnügen haben würde, sich nach im Sande herumliegenden Diamanten bücken zu können, aber sie wollten doch wenigstens die Voraussetzung dafür schaffen, daß es andere für sie tun könnten, und zwar möglichst bald. (Tatsächlich aber sollte es erst zwanzig Jahre später der Streckenwärter Strauch von der Lüderitzbahn sein, der sich in einer Nacht, in der das Mondlicht in den Steinen glitzerte, die Hosentaschen mit Diamanten im Wert von 70000 Mark vollstopfte.) Der Wert des jetzt noch wertlosen Landes würde, auch darüber waren sich die Herren einig, bei einer intensiven Ausbeutung der Bodenschätze und, damit verbunden, einer Besiedelung durch Deutsche (oder andere Europäer), ganz erheblich steigen.
Von diesen Transaktionen und von dem Inhalt des Vertrages wußten weder die Bewohner Bethaniens etwas noch die drei Deutschen, die zwei Jahre später in diesen Ort ritten. Mit ihnen kamen zwei Ochsenwagen, auf denen die geheimnisvollen Blechkisten standen, die vor Monaten über den englischen Hafen Walvisbaai ins Land gekommen waren. An der Spitze der Zugochsen ging das Gabelhorn, ein Großonkel der Sanftmäuligen. Das Gabelhorn sollte einmal das sagenhafte Ochsenalter von vierunddreißig Jahren erreichen, also einer der wenigen Zeugen des damaligen Geschehens sein, die noch zur Zeit des großen Aufstandes lebten. Das Gabelhorn war allen Schlachtmessern entkommen, da es die für einen Ochsen seltene Begabung besaß, selbständig den leichtesten Weg auch im schwierigen Gelände zu finden, eine Begabung, die sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr entfaltete, als Ausgleich für eine beginnende Kurzatmigkeit. Das Gabelhorn sparte jedem Frachtfahrer, in dessen Gespann es ging, einen Tauleiter.
Auch an diesem Tag zog das Gabelhorn den Wagen sicher und auf dem leichtesten Weg vor die Missionsstation, in der einst Sabine Kreft mit dem schweren Klügge um die Wette gekeucht hatte. Schon am nächsten Morgen konnte man einige der Apparate bewundern, die inzwischen aus den Blechkisten gepackt worden waren, darunter einen, den die neugierigen Bethanier wiederzuerkennen glaubten. Unter der Anleitung eines ungewöhnlich langen und schlanken Menschen, der sich so steif aufrecht hielt, als befürchte er, daß eine unsichtbare Last von seinen Schultern rutschen könnte, wurde ein Gerät auf drei Beine geschraubt, durch das er dann, seinen Tropenhelm in den Nacken schiebend, probeweise blickte, eine kleine Röhre gewissermaßen. Dieses Gerät war offenbar eine kleinere Ausführung jenes gewaltigen Fotoapparats, den vor gut einem Jahr ein zierliches, melancholisch blickendes Männchen hatte hierher schleppen lassen, Herr Schultz aus Königsberg.
Dieser Mann war, im Gegensatz zu allen anderen bisher gesehenen Weißen, von geringer Körpergröße und von einer hottentottenhaften Feingliedrigkeit. Schultz trug, wie sein Vorbild Richard Wagner, ein dunkelbraunes Samtbarett.
Vor den ehrfürchtig staunenden Bewohnern Bethaniens, die gebannt standen, verschwand er unter einem schwarzen Tuch, mit dem er sich
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