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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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und den Apparat abdeckte. Wenig später tauchte er, jedesmal mit einem glücklichen Lächeln, wieder auf. Er hatte die Erstarrten auf eine Platte gebannt. Diese Platten entwickelte er nachts in seinem mitgeführten Laboratorium. Am nächsten Morgen zeigte er den Bewohnern Bethaniens einige seiner Fotografien. Die Staunenden konnten darauf alle anderen erkennen, nur nicht sich selbst. Da stand stets zwischen lauter bekannten Gesichtern ein Fremder, und das war, wie der jeweilige Betrachter dann von den anderen erfuhr, er selbst. Es war, als sehe man zum erstenmal, was man doch täglich vor Augen hatte: die Kirche, die fernen Hügel, die Ebene. Ein Stück erstarrter Zeit, geruch- und lautlos. Schultz erklärte mehrmals den Neugierigen ausführlich die Funktion seines Apparats und hatte einige Mühe, die Bewohner davon zu überzeugen, daß es sich nicht um einen Selbsterkenntnisapparat handle. Man bat ihn, mit dieser nützlichen Maschine, die jedem zeigte, wer er war, beim Stamm zu bleiben. Den Missionar wollte man mit seinen Bibelsprüchen in die Wüste schicken, er würde dann sehen, wie weit er damit käme.
    Am Abend sagte Missionar Bam, der seine Enttäuschung nur schwer verbergen konnte, zu Schultz: Der Glaube sei hier noch immer wie eine Eisdecke nach dem ersten leichten Frost. Schultz wollte einen Bildband über das neuerworbene Schutzgebiet Südwestafrika veröffentlichen. Den Auftrag dazu hatte er von der Kolonialgesellschaft erhalten, die sich von einem solchen Band, der Land und Leute zeigte, eine Förderung des kolonialen Gedankens in breiten Bevölkerungskreisen versprach. Schultz ließ den gewichtigen Apparat von drei auserwählten Männern durch das Land tragen, durch das er mit schwermütigem Blick ritt, immer wieder plötzlich auf eine Stelle zeigend, wo der Apparat aufgestellt werden sollte. Darauf verschwand er dann unter dem schwarzen Tuch: vor der Missionskirche, vor den Pontoks, vor dem Friedhof und immer wieder vor den Halbmenschen, jenen merkwürdigen Bäumen, die er aus den unterschiedlichsten Perspektiven und zu den verschiedensten Tageszeiten ablichtete (Schultz sagte: Licht ist das A und O dieser Kunst, und bevorzugte die Berufsbezeichnung: Ablichter), bis ihm schließlich jene einzigartige Aufnahme glückte, die einen Halbmenschen in der abendlichen Dämmerung zeigt und – unaufdringlich – etwas von jener fernen Trauer in sich trägt, die Schultz nicht nur in den Gesichtern, sondern auch in der Landschaft entdeckt hatte. Spuren von Verfall und Untergang lange vor den naßkalten tödlichen Nächten auf der Haifischinsel. Schultz fotografierte den breit grinsenden Händler, die Hundepeitsche in der Hand, neben seinem abgerissenen Diener, der ein Paar blank geputzte Schuhe der Kamera entgegenstreckt; einen langbärtigen katholischen Pater inmitten einer Schar Ovambokinder, in weißen Kleidchen wie Ankleidepuppen zur Kommunion geschmückt; einen Straußen (leicht verwackelt) mit ausgerupften Schwanzfedern; das Porträt einer Hottentottenfrau, die drei an Syphilis leidende Kinder hatte. Schultz bat sie, als er sie fotografierte, ihre Kinder zu sich zu nehmen, obwohl er nur eine Porträtaufnahme machen wollte. Dem Missionar Bam, der fragte, warum er nicht gleich die kranken Kinder aufnehme, anwortete Schultz: Man müsse das Fürchterliche im Gesicht der Frau erkennen können. Das Entsetzliche direkt gezeigt, stoße den Betrachter nur ab. Und schließlich jenes Foto, das in zahlreichen ethnologischen und lexikalischen Werken eine größere Verbreitung finden sollte: Alter Mann aus Bethanien. Es zeigt ein verrunzeltes, unendlich faltiges Gesicht, ausgetrocknet wie die Landschaft, in der es aufgenommen wurde. Die Augen im grellen Sonnenlicht verkniffen, zwei Schlitze, so, als hätten sich die charakteristischen Lidfalten als Schutz gegen das gnadenlose Licht gebildet, farblos das dünne grau-krisselige Haar. In diesem verkarsteten Gesicht ist etwas von einer müden Würde, einer Gelassenheit auch jenem neugierigen Apparat gegenüber, hinter dem der Mann unter einem schwarzen Tuch verborgen stand. So kam Lukas, mit dem Gorth einst eine Vortragsreise durch die deutschen Missionsvereine machen wollte, doch noch nach Europa, wenn auch nur für den Augenblick, als er auf das Handzeichen von Schultz wartete, um wieder ausatmen zu können.
    Der Bildband konnte dann aber doch nicht erscheinen. Die zuständigen Herren vom Präsidium der Kolonialgesellschaft waren nach Durchsicht der vorgelegten Fotografien

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