Morenga
daß man eben so und nicht anders handeln mußte. Waren nicht auch die Wünsche vorbestimmt aus lauter kleinen Leerstellen des bisherigen Lebens, die man langsam anfüllte, und war mit diesen Wünschen nicht wiederum jede Absicht zu handeln im vorherein festgelegt?
Aus dieser Zeit müssen auch einige Tagebucheintragungen stammen, die allesamt undatiert sind.
Tagebucheintragung Gottschalks (ohne Datum)
Das Wort Wille beschreibt nur die Leerstelle, wo unsere Einsichten und Absichten zur als notwendig erkannten Tat drängen. Will man mehr darüber wissen, muß man seine Wünsche auftrennen, rücksichtslos, um zu sehen, ob sie mit Daunen oder Roßhaar gepolstert sind.
Tagebucheintragung Gottschalks (ohne Datum)
In meinem Kopf dieses gleichmäßige Rauschen (tags und nachts). Das ist die abfließende Zeit. Und mein Schädel ist die Zeitschleuse.
Tagebucheintragung Gottschalks (ohne Datum)
Wenn das Rauschen abbricht, ist dieses Geräusch nur noch in anderen Köpfen. Das trennt das Innerste vom Äußersten und mich von dieser Welt.
Tagebucheintragung Gottschalks (ohne Datum)
Jetzt, jetzt, jetzt, jetzt, jetzt, jetzt, jetzt, jetzt, jetzt: Ich.
Nach diesen Eintragungen finden sich in den nächsten beiden Monaten, undatiert und datiert, einzeln oder aber auch unter anderen, Notizen, Zahlen und kleine Tabellen. Bei einer Überprüfung dieser Zahlen ergeben sich bestimmte wiederkehrende Distanzangaben zur englischen Grenze. Dazu die Tagesleistungen von Pferden. Es finden sich auch Notizen darüber, in welchen Gebieten besonders viele Tschammas wachsen. Das sind wasserhaltige Kürbisarten, mit deren bitter schmeckendem Saft die Namas oft über Wochen ihren Durst löschen. Dazu finden sich Zahlen, die nicht aufzuschlüsseln sind. Möglicherweise geben sie bestimmte Hafer- oder Maismengen an, die Pferde benötigen.
In Warmbad hatte Gottschalk einmal mit Doktor Haring darüber geredet, daß er, Gottschalk, sich nicht mitschuldig machen wolle an den Unmenschlichkeiten dieses Krieges. Er wolle sich nicht aktiv am Kampf beteiligen, auf keinen der Hottentotten schießen.
Haring hatte darauf geantwortet: Was wollen Sie eigentlich, Sie stehen auf der einen Seite und die Hottentotten auf der anderen, und dazwischen ist keine Handbreit Platz. Alles andere ist doch Augenwischerei.
Eben das wollte Gottschalk nicht einsehen: Dieses Entweder-Oder, das hätte auch Wenstrup sagen können, nur von einer anderen Position aus, und er hatte inzwischen auch seine Seite gewählt. Was tat Wenstrup jetzt? Behandelte er den Aufständischen ihre lahmenden Gäule, oder untersuchte er in einem Johannesburger Schlachthof Schweine auf Trichinen? Wirklich konsequent wäre nur das erste, das andere aber immer noch konsequenter, als die Gäule der Schutztruppe wieder auf die Beine zu bringen, was Gottschalks Aufgabe war.
Wenstrup hatte Gottschalk einmal einen Träumer genannt.
Manchmal schreckte Gottschalk tagsüber in seinem Zimmer hoch, ging leise zur Tür und riß sie mit einem Ruck auf. Er glaubte, man habe ihn inzwischen eingesperrt.
Tagebucheintragung Gottschalks vom 2. 5. 05
Ein Traum: Ich ging in einem Pinienwald spazieren. Groß fielen die Zapfen von den Bäumen. Trafen sie den Boden, detonierten sie als Granaten. Stabsarzt Otto erzählte einen Witz, da krochen lange weiße Würmer aus den Zapfen.
Sah Gottschalk zu dieser Zeit Alternativen? Glaubte er, daß man das verbinden könne (wenigstens er), die Seite der Deutschen und die der Aufständischen, oder ganz allgemein der Afrikaner?
Zeisse hatte in den Wochen, seitdem sie wieder in Keetmannshoop waren, nach den Skizzen Gottschalks zwei Zähne aus den abgesägten Stücken des Geschützstahls gefeilt, sauber und exakt, die er dann nach Gottschalks Entwurf an die Klammer geschweißt hatte.
Eines Morgens war Gottschalk mit Zeisse aus dem Ort hinausgeritten und hatte am Ortsrand nach einem geeigneten Kuhschädel gesucht. Dabei mußten sie in Sichtweite des Ortes bleiben. Hatte man dort den Eindruck, auf einem deutschen Kasernenhof zu sein, konnte man zwei Kilometer entfernt nicht einmal ohne Gewehr hinter einen Busch zum Pissen gehen.
Oft trieben die Aufständischen das Vieh ab, das in der Nähe des Orts stand, wobei sie sich dreist die besten Rinder aussuchten.
Bei dieser Gelegenheit, sie gingen zwischen den zahlreichen Rinderskeletten herum, fragte Gottschalk Zeisse, was er eigentlich davon halte, daß man den Eingeborenen das Vieh und das Land wegnähme und sie
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