Morenga
latschten, als müßten sie mühsam die Beine aus einem Morast ziehen, sogar die Höcker hingen schlabbernd zur Seite. Gottschalk ging um die Tiere, die stumpfsinnig vor sich hin kauten, herum und sagte: Wenn die richtig Futter kriegen, richtet sich auch der Höcker wieder auf. Das ist eine Art Kriegskasse für harte Zeiten.
Zeisse war enttäuscht, daß Kamele nicht beschlagen werden mußten.
Sie machen ihrem zoologischen Familiennamen Schwielensohler eben alle Ehre, sagte Gottschalk, der dann auch noch zu berichten wußte, daß den Kamelen die Gallenblase fehle und sie als einzige unter allen Säugetieren eirunde Blutkörperchen hätten. Mehr wußte er, der zuvor nur einmal im zoologischen Garten ein Dromedar gesehen hatte, auch nicht.
Als Gottschalk den Befehl erhielt, die Kamele auf ihre Tauglichkeit als Reit- und Tragtiere für die Schutztruppe zu prüfen, war er derart überrascht, daß er den Erläuterungen von Major Buchholz, auf dessen Betreiben die ersten Tiere von den Kanarischen Inseln gekauft worden waren, nicht recht folgen konnte. Er sah einen Mund und hörte: Durststrecken, Kilogramm, Tagespensum, Durchschnittswert, Geschwindigkeit. Gottschalk sagte: Jawohl, grüßte und verließ das Zimmer des Generalstäblers. In seinem Korridorzimmer legte er sich auf das Feldbett, die Hände unter dem Kopf gefaltet, und überlegte, was er tun solle. Bisher hatte er einfach seinen Dienst abgerissen, Gäulen ins Maul geschaut, Umschläge gemacht, Klistiere gegeben. Sicherlich, damit hatte er geholfen, die Maschinerie in Gang zu halten, aber jetzt sollte er auch noch helfen, sie zu beschleunigen. Mit Hilfe der Kamele wollte man versuchen, den Aufständischen etwas von ihrem Landesvorteil zu nehmen. Mit Hilfe dieser genügsamen Tiere konnte man größere Strecken durch wasserlose Gebiete überwinden.
Der Krieg war inzwischen schon Gegenstand des schadenfrohen Gespötts ausländischer Gazetten geworden, insbesondere der englischen. Man grinste darüber, wie ein paar hundert Hottentotten die größte Militärmacht Europas an der Nase herumführten. Ausgerechnet ein paar hergelaufene Viehdiebe zerkratzten dem großkotzigen Kaiser seine schimmernde Wehr. Der Große Generalstab wollte jetzt möglichst schnell reinen Tisch machen. Und Gottschalk sah sich plötzlich genötigt, an entscheidender Stelle an der Vorbereitung mitzuhelfen. Von draußen hörte er wieder das Klacken der Bälle. Der Westwind trug diesen verdammten Staub ins Zimmer. Gottschalk starrte auf den rot eingestaubten Kuhschädel mit dem Stahlgebiß. Halfen nicht auch sozialdemokratische Arbeiter bei der Niederwerfung dieses Aufstandes? Zwar wetterten einige ihrer Abgeordneten im Reichstag gegen diesen Krieg, aber zugleich montierten die Arbeiter die Maschinengewehre und steppten die Sättel für die Kamele. Und es gab Sozialdemokraten, die ganz offen sagten, Kolonien seien notwendig, damit Deutschland eine Industriemacht bleiben könne. Warum sollte sich ausgerechnet er, Gottschalk, den Kopf darüber zerbrechen. Dann kam er sich selbst, wenn er so dachte, wie bei einer Ausrede ertappt vor. Bis zur Grenze, bis nach Rietmont waren es ungefähr zweihundertfünfzig Kilometer. Ein Pferd ging siebzig Kilometer am Tag, ein gutes Kamel soll über hundert Kilometer am Tag zurücklegen, ohne daß man es tränken muß. Das Pferd brauchte spätestens am zweiten Tag Wasser.
Gottschalk sagte sich auch, daß alles, was in diesem Lande neu eingeführt würde und die Entwicklung vorantriebe, eines Tages auch den Bewohnern zugute käme. Und wichtiger noch: Wenn er diesen Befehl verweigern würde, was würde sich damit ändern? Wenn er den Befehl verweigerte, einen Aufständischen zu exekutieren, das könnte als Protest in der Truppe verstanden werden, als ein Zeichen. Aber sich zu weigern, Kamele auf ihre Transporttauglichkeit zu prüfen, das wäre wie ein Witz gewesen, und Witze drängten sich bei diesem Tier ja regelrecht auf. Die ganze Schutztruppe hätte gelacht. Irgendein anderer Veterinär hätte diesen Auftrag sofort und mit Begeisterung ausgeführt. Von nebenan war wieder das Schnarchen des Freiherrn von Gaisberg zu hören. Leutnant Auer von Herrenkirchen klopfte wie jeden Abend seine Liebesgrüße auf die Wasserleitung zu Leutnant Schüler, ebenfalls Offizier des Feldsignaltrupps.
Fingerübungen nannte Leutnant Auer das.
Genau zweihundertdreizehn Kilometer betrug der Weg von Keetmannshoop nach dem englischen Rietfontein, etwas über zweihundertsechsundachtzig
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