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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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viele zerlumpte Hottentotten herum.
    Jetzt ging es hier zu wie auf einem Kasernenhof in Deutschland. In den wenigen Steinhäusern hatte man die Offiziere einquartiert. Am Rande des Ortes waren Mannschaftszelte aufgeschlagen worden, neben der Missionsstation aus Wellblech ein Lazarett, eine große Feldbäckerei. Hinter einem Stacheldrahtzaun waren Tonnen und Munitionskisten gestapelt. Auf der Straße bekam Gottschalk die Hand nicht mehr vom Mützenrand. Es hieß, im Lande stünden schon mehr als zwölftausend Soldaten.
    Ein Hottentottenmädchen stöckelte in geschnürten Stiefeletten durch den Sand, die gewaltigen Brüste in ein schwarzes Korsett gegossen, den Mund geschminkt, rot wie eine Wunde. In akzentfreiem Deutsch rief sie Gottschalk zu: Hallo, Kleiner, wie wär’s mit uns, einsfünfzig.
    Später berichtete Stabsarzt Otto, die Preise seien während seiner Abwesenheit in den vergangenen acht Wochen rasant in die Höhe geschnellt und würden aller Wahrscheinlichkeit nach weiter klettern mit den neu eintreffenden Truppenverstärkungen. Otto äußerte den Verdacht, daß die Huren insgeheim mit den Aufständischen zusammenarbeiteten, denn im Augenblick sei ein Schanker von einer enormen Durchschlagskraft im Umlauf und habe schon fast die Hälfte der hier stationierten Truppen erfaßt.
    Eine Zeitlang erwog der Stabsarzt ernsthaft den Plan, versierte Nutten von der Reeperbahn aus Hamburg einführen zu lassen, vom dortigen Gesundheitsamt beglaubigt und für den Verkehr freigegeben. Hier hätten sie unter der Kontrolle von Militärärzten ihrem Geschäft nachgehen können. Aber der Schanker war zu dem Zeitpunkt schon so weit verbreitet, daß man ihn mit dieser Maßnahme nicht mehr hätte eindämmen können. Es blieb nichts übrig, als die Erkrankten entsprechend ihrem Krankheitsstadium ambulant oder stationär zu behandeln und für die noch nicht Infizierten vorbeugende Maßnahmen einzuleiten. So forderte Stabsarzt Otto von der Schutztruppenintendantur einen größeren Posten Präservative an und erarbeitete zwei Vorträge über die Früherkennung von Geschlechtskrankheiten bei Frauen. Den einen, deftig, sehr farbig und rücksichtslos ins Detail gehend, hielt er vor den Mannschaften; den anderen, dezent und sich in Andeutungen ergehend, vor Offizieren. Tatsächlich konnte man einige Tage danach die ersten Reiter beobachten, die mit Taschenlampen zu ihrem Stelldichein gingen.

    Kriegsgerichtsrat Volley studierte Grundsatzentscheidungen aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870–71, inwiefern ein Schanker oder Tripper als Selbstverstümmelung geahndet werden könnte.
    Was Gottschalk in Keetmannshoop überraschte, war der Anblick der Hottentotten. In Warmbad hatte er sie als Gefangene kennengelernt, von denen die meisten in Lumpen gehüllt und abgemagert auf dem freien Feld hinter Stacheldraht hockten. Hier hingegen liefen sie frei herum, gut genährt, trugen abgelegte deutsche Umformen, die zwar verschlissen waren, aber nicht zerlumpt. Christian Goliath, der Kapitän, hatte seinen Stamm der Berseba-Hottentotten überreden können, sich nicht dem allgemeinen Aufstand anzuschließen. Jetzt machten die Hottentottenjungen vor den Gefreiten Front und grüßten so exakt, als hätten sie die preußischen Exerzierreglements studiert, sagten jawoll, wenn man ihnen etwas befahl. Auch ältere Frauen und Männer konnten an den Litzen, Knöpfen und Schulterstücken die unterschiedlichsten Dienstgrade erkennen und redeten auch Gottschalk mit Herr Oberveterinär an. Sie erkannten sogar so ausgefallene Ränge wie den eines Bekleidungsamtsassistenten.
    Dieser, Pfannenschmidt mit Namen, trug einen Zwicker, gewaltige Radsporen und hatte stets einen enormen Trommelrevolver umgeschnallt. Wo immer er hinkam, drei Schritte hinter ihm ging sein Bambuse, mit den gleichen eckigen Bewegungen, dem gleichen schwäbelnden Dialekt.
    Gottschalk empfand bei dem Anblick einen fast körperlichen Ekel, eine in Wut gesteigerte Peinlichkeit. Er fragte sich, ob das in Ansätzen nicht vielleicht schon vor drei Monaten in Warmbad so war und er das nur nicht bemerkt hatte. Immer häufiger ertappte er sich dabei, wie er an Katharina dachte, wie er versuchte, sich an jedes Detail zu erinnern, als sie draußen auf dem Hügel gelegen hatten. Und jedesmal schob er diese Bilder beiseite, versuchte sich auf anderes zu konzentrieren, beispielsweise auf die Tennisspieler, die er von seinem Zimmer aus beobachten konnte.
    Ihm war ein Zimmer in der inzwischen umgebauten

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