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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Stelle, aber mit einem Handtuch abgedeckt. Der Hauptmann, der in der Zwischenzeit das Zimmer bewohnt hatte, lag mit einem schweren Darminfekt im Lazarett.

    Jeden Abend saß Gottschalk vor dem kleinen Holztisch und schrieb Berichte über Ausdauer und Eigenart der kanarischen Dromedare, addierte Zahlen und zeichnete Diagramme. In immer dringlicher werdenden Eingaben an das Kommando der Schutztruppe forderte er bessere Kamele, am besten Reitkamele der Bischarin aus dem Ostsudan. Einmal schrieb er sogar, daß man nur mit einem solchen Kamelmaterial die Aufständischen schneller und wirkungsvoller in ihren Verstecken der wasserlosen Kalahari aufstöbern könne. Aber er schämte sich, als er das Blatt dann überlas, und zerriß es. Nachts schlief er wie ein Stein, hörte weder die auf die Wasserleitung geklopften Liebesgrüße des Leutnants Auer von Herrenkirchen noch das Schnarchen des Freiherrn von Gaisberg. Wenn er erwachte, konnte er sich an keinen Traum erinnern. Manchmal, zwischen einem statistischen Vergleich der Futtermenge eines Maulesels und eines Kamels, fielen ihm wieder die durchwachten Nächte ein, in denen er sich mit so abstrusen Problemen gequält hatte wie der Frage nach dem Willen und dem Sitz der moralischen Instanz. Was für eine bodenlose Grübelei.

    In dieser Zeit nahm Gottschalk sich einen Bambusen, obwohl er das Dienerwesen verabscheute. Aber Gottschalk hatte den Wunsch, Nama zu reden, und darüber hinaus drängte sich der junge Mann, ein Hottentotte, regelrecht auf: putzte Gottschalks schweißstinkende Stiefel, die er stets vor seinem Zimmer stehenließ, brachte ihm den Morgenkaffee und stand, den schweren Kamelsattel auf dem Rücken, vor dem Haus, wenn Gottschalk zum Dienst ging. Um nicht geizig zu wirken, gab Gottschalk ihm eines Tages ein paar Pfennige. So begann das Dienstverhältnis mit Simon, der unbedingt bei einem Offizier als Bambuse arbeiten wollte, da er früher an der Missionsschule in Berseba Katechist gewesen war und fließend Deutsch sprach, darüber hinaus auch rechnen und schreiben konnte. Simon hatte einen schier unstillbaren Bildungshunger. Er verschlang Zeitungen, Zeitschriften, Gottschalks veterinärmedizinische Fachbücher, die Gegenseitige Hilfe‹ von Kropotkin und den einzigen Roman, den Gottschalk mit nach Südwest genommen hatte: ›Der Stechlin‹ von Fontane. Gottschalk hatte das Buch schon einmal in Deutschland gelesen und wollte es während der Überfahrt nochmals in Ruhe lesen. Er war aber nie dazu gekommen. Jetzt redete Simon über die Mark Brandenburg, als sei er in einem Herrenhaus aufgewachsen.
    Simon, als Kind in einem Missionshaushalt aufgezogen und dort wegen seines Lerneifers aufgefallen, hatte als Siebzehnjähriger den Missionar nach Deutschland begleitet. Begeistert von den gepflasterten Straßen, den steinernen Häusern, den Gaslaternen, elektrischen Straßenbahnen, Geschäften, all diesen ordentlichen Einrichtungen, den Pissoirs auf der Straße, den Schutzleuten auf den Kreuzungen, störte ihn zuweilen lediglich seine Hautfarbe und dieses alberne gekrisselte Haar auf dem Kopf.
    Was waren Ochsenwagen, die sich mühevoll durch den Sand quälten, gegen eine Untergrundbahn, die nicht umständlich den Straßen folgen mußte, sondern unter Hausern verschwand, um irgendwoanders wieder aufzutauchen und ihr Ziel zu erreichen. Alles war darauf ausgerichtet, Zeit zu sparen, Umwege zu vermeiden.
    Das schien auch die geheimnisvolle Kraft in den Menschen zu sein, die er durch die Straßen laufen sah, zielgerichtet und nicht bei jeder läppischen Kleinigkeit stehenbleibend, um zu gaffen oder zu schwatzen.
    Als Gottschalk Simon einmal fragte, was ihn denn in Deutschland am meisten beeindruckt habe, antwortete Simon: Die Beerdigungsinstitute. Der Vater des Missionars, mit dem Simon die Deutschlandreise machte, war in dieser Zeit gestorben. Ein schwarzgekleideter Herr sei gekommen, man habe einige vorgedruckte Formulare ausgefüllt, und dann verschwand der Verstorbene aus dem Haus. Erst auf der Beerdigung traf man ihn wieder, sorgfältig eingesargt stand er auf einem Katafalk und wurde von Uniformierten zur schon ausgehobenen Grube getragen. Das alles habe sich reibungslos und sauber abgespielt, kein Gestank, keine stundenlange Leichenwache. Die Angehörigen des Verstorbenen hätten in der Zwischenzeit weiter ihrer Arbeit nachgehen können. Einfach phantastisch.

    Gottschalk fragte auf Nama, Simon antwortete in Deutsch. Er behauptete nämlich, nicht mehr richtig Nama

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