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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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getrieben, gegen die sogar die Mittagshitze machtlos war. Schließlich konnte man den Mann mit bloßen Augen erkennen, er ging dem Wagen voraus. Was die Menge aber in diese ungezügelte Erregung versetzte, war nicht die weiße Hautfarbe des Fremden (obwohl viele von ihnen zum ersten Mal einen Weißen zu Angesicht bekamen), es waren auch nicht die sonderbaren Latschen, die der Mann mutig an den bloßen Füßen trug (immerhin wimmelte es in dieser Gegend von Skorpionen und Schlangen), das erwartungsvolle Staunen galt auch nicht der Tatsache, daß er zu Fuß ging (die Weißen, die man bisher gesehen hatte, mußten schon am frühen Morgen auf der Wagenbank festgebunden werden, damit sie im Suff nicht unter die schweren Holzräder kamen), nein, die fast unerträgliche Spannung der Menge richtete sich auf das Gesicht des Fremden, der, in einem ärmellosen schwarzen Wams, einen langen Stecken in der Hand, gut dreißig Schritte dem Ochsengespann vorausstapfte. Dunkelhaarig, mit einem ebenso dunklen Bart um Kinn und Mund, ein Gestell mit blitzenden Gläsern auf der Nase, erkannten die geübten Nomadenaugen an ihm sogleich seine Ähnlichkeit mit einem Schaf. Und zwar nicht mit irgendeinem Schaf, sondern, wie die Gerüchte, die seit Wochen im Land umliefen, zu berichten wußten, mit dem feinwolligen Merinoschaf, das in dieser Gegend noch selten war. Lag es an der Länge seines Kinns oder an den eng beieinanderstehenden hellen Augen, oder war es das leicht gewellte, krisselige Haar? Als der Fremde die wartenden Hottentotten mit einem milden Lächeln begrüßte, verstärkte sich das Schafige in seinem Gesicht. Da brandete ihm ein begeisterter Jubel entgegen. Vergessen waren die Anstrengungen der letzten Tage, das lange Warten und die Zweifel an der Richtigkeit der Erzählungen. Und in diese Begeisterung mischte sich die Bewunderung über die Standhaftigkeit des Fremden, der trotz seines bläßlichen Gesichts sogar in der sengenden Mittagshitze keinen Hut trug, der also seine Ähnlichkeit mit diesem freundlichen und genügsamen Tier offen zur Schau stellte.
    Man muß unter dem Himmel des Allmächtigen mit bloßem Haupte wandeln, war ein Wahlspruch von Missionar Gorth, den er schon auf der Missionsschule in Barmen strikt befolgt hatte und dem er auch in tropischen Breiten treu blieb. Der Allmächtige hat den Himmel zu seinem Throne und die Erde zu seinem Fußschemel gemacht, pflegte Gorth zu sagen. So deutete er denn auch die tumultartige Begeisterung, die ihm in diesem Land von allen Seiten entgegengebracht wurde, als ein Zeichen Gottes. Seine Missionsarbeit, die ihn im Auftrag der Rheinischen Mission nach Bethanien führen sollte, schien unter einem günstigen Stern zu stehen.
    Das Ochsengespann zog, von Petrus’ Zunge angetrieben, langsam in Warmbad ein, gefolgt von der riesigen Menschenmenge. Vor dem Missionshaus stand Frau Priestley und begrüßte Gorth mit den Worten: Heute Hosianna, morgen kreuziget ihn.
    Gott sei Dank war Missionar Priestley auf Reisen. Ihm wenigstens blieb der enthusiastische Empfang seines deutschen Kollegen erspart. Auf ein Handzeichen der Frau Missionarin sangen die nach Größe gestaffelt aufgestellten Kinder der Missionsschule ›God save the Queen‹. Gorth versuchte seinen Unwillen durch häufiges Räuspern anzudeuten, schließlich gehörte dieses Land immer noch den Bondelzwarts und nicht der englischen Krone. Die Kinder sangen noch, falsch und in einem mit Schnalzlauten durchsetzten Englisch, als unter der Wagenplane ein sonderbares Quieken ertönte. Die staunende Menge umringte sogleich den Wagen, der Chor bröckelte, trotz giftiger Blicke der Frau Missionarin, ab und verstummte schließlich. Gorth winkte einige der gaffenden Männer heran, die mit Petrus Matroos in den Wagen kriechen mußten. Es erschien ein großer schwarzglänzender Kasten, den sechs Männer ächzend auf den Boden hoben und dann zur Veranda des Hauses trugen. Es war das zweite Klavier, das ins Land kam. Das erste war an einem regnerischen Freitag vor fünfundzwanzig Jahren nach einem Überfall auf die Missionsstation durch Jager Afrikaner erbeutet worden. Man hatte es säuberlich auseinandergenommen, damit jedes Stammesmitglied seinen Anteil bekommen konnte. Die Teile blieben aber tonlos.
    Nach dem Klavier wurde ein toll quiekendes Schwein auf den Boden gehoben, dann wurden noch sechs Ferkel nachgereicht, die sich sogleich an die Sau drängten. Keiner der Bondelzwarts hatte je ein so fleischiges Tier gesehen, das zudem nicht

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