Morenga
Gorth konnte sich nur noch nicht entschließen, ob er nach Grönland oder in den Süden Afrikas gehen sollte. Ein gezeichnetes Bild in der Missionszeitung hat ihn tief berührt: Drei nackte kleine Negerlein sitzen um ein Nest, in dem drei Straußeneier liegen. Eines der Negerlein weint. Darunter steht: Frohes Osterfest. Den letzten und endgültigen Anstoß, Missionar zu werden, gab aber einige Jahre später ein merkwürdiges Ereignis, über das er nur mit seiner Verlobten einmal gesprochen hatte. An einem Pfingstsonntag war er nachmittags nochmals in die Kirche gegangen. In der Morgenpredigt hatte der Pfarrer mit Fäusten auf die Kanzel geschlagen, daß es nur so dröhnte. Wohlan nun, die ihr saget: Heute oder morgen wollen wir gehen in die oder die Stadt und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen – die ihr nicht wisset, was morgen sein wird. Denn was ist ein Leben? Ein Dampf seid ihr, der eine kleine Zeit währt, danach aber verschwindet er. Am Eingang der Kirche stand ein kleiner Nickneger, im Kopf einen Geldschlitz, und rief zu Spenden für die Missionsarbeit auf. Beim Verlassen der Kirche nun nickte der Nickneger dem kleinen Gorth zu. Dabei sah er ihn ernst und fordernd an. Gott vergelt’s!
Eines Abends erschien Lukas in Warmbad.
Gekleidet in ein langes, linnenes Hemd, ein Totenhemd, das Gorths Vorgänger Knudsen für sich mitgebracht hatte. Knudsen wollte in diesem Hemd in Bethanien dereinst begraben werden. Vor knapp zwei Jahren war er in seine Heimat nach Norwegen abgereist, zermürbt und entmutigt nach dem neunjährigen Ringen um das Seelenheil der Hottentotten. Aber noch am Tage seiner Abreise wurde er in eine Rauferei verwickelt. Er verlor dabei die oberen Schneidezähne. Darüber, wie es zu dieser Prügelei gekommen war, gab es verschiedene Versionen. Knudsen habe das silberne Kreuz, das die Gemeinde erworben hatte, mitnehmen wollen. Die auf wenige Mitglieder zusammengeschmolzene Gemeinde habe ihm einen Denkzettel verpassen wollen, da er immer gegen den Viehraub gewettert und mit Höllenqualen gedroht habe. Knudsen war jedenfalls noch einmal, und das sichtbar, mit einem blauen Auge davongekommen. Sein handgewebtes, leinenes Totenhemd ließ er im Missionshaus zurück. Wenigstens dieses Hemd sollte von seiner Arbeit in Bethanien Zeugnis geben. Fünf Monate nach diesem Ereignis schickte der Häuptling, auf Beschluß des Rates, einen Boten nach Kapstadt mit der Bitte an die Missionsgesellschaft, einen anderen Missionar nach Bethanien zu schicken, der auch ein Mittel gegen die verheerende Geschlechtskrankheit mitbringen sollte, die in Knudsens Anwesenheit beim Stamm ausgebrochen war. So befand sich denn unter Gorths Reisegepäck eine kleine Kiste mit Quecksilbersalbe. Allerdings war der Vorrat schon während der Schiffsreise kräftig angegriffen worden, nachdem sich unter den Offizieren und der Mannschaft die Existenz dieser Wunderkiste herumgesprochen hatte.
Als Lukas in das Zimmer trat, verklärte sich das Schafsgesicht. Dieser große ernste Jüngling in seinem langen Gewand kam wie von Gott geschickt. Das war der Mann, nach dem Gorth seit der Überquerung des Oranje Ausschau gehalten hatte. Europa hatte noch nie einen Hottentotten zu Gesicht bekommen. Das war Gorths geheimer Wunsch, und er sah Zukünftiges immer in Bildern. An Bord einer Bark fährt er, nach fünfjähriger Missionsarbeit, auf Heimaturlaub nach Europa. Neben ihm, an der Reling, steht ein gutaussehender junger Hottentotte, europäisch gekleidet, aber doch mit einigen, dem Lande eigenen Accessoires. Gorth hatte auf der Missionsschule in Barmen einmal den Vortrag eines englischen Missionars gehört, in dessen Begleitung sich ein gutaussehender, hochgewachsener Somalineger befand. Der Saal war überfüllt. Viele Besucher standen draußen auf dem Gang. Der Somalineger stand nach der Rede des Missionars auf und sagte: My brothers and sisters and I, we say thank you very much for your help. Der Saal tobte. An diesem Abend wurden 468 Mark gesammelt. Eine gewaltige Summe. Desto enttäuschter war Gorth, als er diese kleinen Hottentotten sah, mit ihren sonderbar verfilzten Haarlöckchen, die Frauen mit einem enormen Fettsteiß, auf dem sie wie auf einem kleinen Schemel am Boden sitzen konnten. Im Alter verschrumpelten die Gesichter wie Bratäpfel. Gorth war, weiß Gott, kein Ästhet, er hätte auch niemals das Wort häßlich gebraucht oder auch nur gedacht, nicht, weil er darum wußte, wie relativ die Vorstellung von
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