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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Kagenecks gehandelt.

    Als Gottschalk das Bezirksamt betrat, fand er Kageneck in einem abgedunkelten Raum sitzend, vor sich eine Blechbadewanne mit Wasser, in der mehrere Flaschen unterschiedlichster Form schwammen: flache, rechteckige Whiskyflaschen, eine handlich runde Rumflasche aus Jamaika, eine tönerne Steinhägerflasche aus Oldenburg und schließlich, der dreifache Stern von Warmbad, eine dickbauchige französische Cognacflasche.
    Kageneck fragte forsch, wo sich der Unterveterinär Wenstrup jetzt aufhalte, und als Gottschalk antwortete: er wisse das nicht, Wenstrup sei als vermißt gemeldet, erfuhr er aus Kagenecks Mund, daß Wenstrup sich unerlaubt von der Truppe entfernt habe oder, genauer und auf gut deutsch gesagt, desertiert sei, und zwar zusammen mit so einem kleinen Hottentottenbengel namens Jakobus. Was Gottschalk, der mit Wenstrup ja wohl befreundet sei, dazu sage. Die Nachricht sei von der Kappolizei gekommen, aus Upingtown. Er müsse jetzt leider Gottschalk in dieser Angelegenheit verhören, im Militärstrafgesetzbuch gäbe es schließlich einen Paragraphen für die Nichtanzeige von Fahnenflucht. Da es schon auf 4 Uhr nachmittags zuging, lud Kageneck Gottschalk ein, mitzutrinken. Gottschalk war so unbescheiden und ließ sich von dem französischen Cognac einschenken.

    Am 2. 1. 1905 war, wie man den Akten des Kaiserlichen Gouvernements entnehmen kann, der Unterveterinär Wenstrup fahnenflüchtig geworden. Über seinen weiteren Verbleib gibt es lediglich Gerüchte. Es heißt, Wenstrup sei, nachdem er in die Kapkolonie geflohen war, nach Argentinien gegangen und sei in Mar del Plata bei dem Versuch, eine Regierungsbank zu überfallen, in eine Schießerei geraten, in deren Verlauf er einen Lungensteckschuß erhalten habe. Wenig später sei er in einem Provinzkaff namens Madariaga gestorben. Einem anderen Gerücht zufolge habe er in Paris in einer anarchistischen Sektion gearbeitet und sich seinen Lebensunterhalt damit verdient, daß er gegen Entgelt in Cafés und Klubs Schach spielte. (Gottschalk hatte ihn nie Schach spielen sehen.) Und endlich will ihn jemand auf der Insel Helena erkannt haben, wo er als Tierarzt praktiziert habe, und zwar in der Nähe von Longwood, jenem Ort, wo Napoleon interniert gewesen war.

    Gottschalk war an diesem Abend von einer redseligen Ausgelassenheit, die Kageneck verstummen ließ.
    Am nächsten Tag erzählte der Bezirksamtmann, er habe den Oberveterinär ganz falsch eingeschätzt. Der Mann sei im Kern doch kein Kind von Traurigkeit. Kageneck führte das auf die Qualität seines Cognacs zurück.

    Eine Situation. Wenstrup saß nach dem Gefecht bei Naris auf einem Felsblock, die Hände vor dem Gesicht, als müsse er sich auf etwas konzentrieren. Als Gottschalk ihn ansprach und er das Gesicht hob, konnte man erkennen, daß er geweint hatte. Wenstrup sagte: es sei nichts. Ein Anfall von Erschöpfung.
    Gottschalk hatte ihn aber gar nicht gefragt.
    Ein in der Nähe stehender alter Schutztruppler meinte, das käme bei Neuen häufig vor. Das läge am Klima und an der Höhe. Das Herz würde stark belastet.
    Woran Gottschalk sich nicht mehr erinnern konnte, war, ob das unmittelbar nach der Erschießung der Gefangenen gewesen war.

    Aktenkundig hingegen ist ein anderer, Wenstrup betreffender Vorgang, und zwar vom 14. 5. 1914 unter den Aktenbeständen der Intendantur der Schutztruppe, im Archiv zu Windhuk.
    War Wenstrup schon zu seiner Dienstzeit ein Ärgernis seiner Vorgesetzten, so sollte sein Verschwinden ganze Abteilungen und Dienststellen der Schutztruppe und des Reichskolonialamtes in Atem halten über ein schier unlösbares Problem, das weit über neun Jahre mit umfangreichen Aktennotizen, juristischen Expertisen, Gutachten und gerichtlichen Erklärungen ausgefochten wurde, bis der Ausbruch des Ersten Weltkriegs diesem Behördenstreit ein jähes Ende setzen sollte.
    Was war passiert? Der Unterveterinär war unter dem 7. 11. 1904 mit der Wirkung vom 1. 2. 1904 zum Oberveterinär ernannt worden. (Er hätte also auf der »Gertrude Woermann« nach der Grußvorschrift nicht den Oberveterinär Gottschalk zuerst grüßen müssen. Jedenfalls aber hätte Wenstrup nachträglich der Differenzbetrag zwischen dem Gehalt eines Unter- und dem eines Oberveterinärs zugestanden.) Da sich Wenstrup zu der Zeit seiner Ernennung schon auf dem Marsch in den Süden befand, konnte ihm aufgrund des unzulänglichen Nachrichtenwesens und in der allgemeinen Konfusion, in der sich die Truppen beim

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