Morenga
deutschen Offizierskisten). Einige haben sich Tücher um den Hals geschlungen. Einer trägt eine deutsche Uniformjacke. Sie ist ihm, wie man an den Ärmeln erkennen kann, viel zu lang und zu weit. Die Gewehre haben sie vor sich auf den Boden gestellt, moderne Armeegewehre vom Typ 88, Beutestücke also. Als Patronengurte tragen sie die bei der Schutztruppe gebräuchlichen Gürtel mit den Patronentaschen.
Die Gruppe steht da wie zu einem Erinnerungsfoto. Morenga hat eine Pfeife im Mund. Am linken Knie ist die Hose aufgerissen.
Hat dieses Foto ein englischer Journalist von der ›Cape Times‹ aufgenommen? Eine Zeitung, die damals ausführlich und mit Sympathie für die Aufständischen von den Ereignissen in der deutschen Kolonie berichtet hat. Hatte der Reporter Morenga an der englischen Grenze getroffen, oder war er heimlich in das Aufstandsgebiet gereist? Oder hat ein Laie diese Fotografie gemacht? Möglicherweise hatte man die Kamera in der erbeuteten Bagage der Abteilung Kirchner gefunden, und einer der Aufständischen, der früher seinem weißen Herrn die Kamera nachtragen mußte, hat diese Aufnahme gemacht.
Auf dem mit zurückgelassenen Ausrüstungsgegenständen übersäten Gefechtsfeld der Abteilung Kirchner fanden die Aufständischen in einem Koffer das Tagebuch des gefallenen Leutnants Edzard Fürbringer. Morenga hat dieses Tagebuch fortgeführt in englisch und aus der Sicht der anderen Seite. Eine ungleichmäßige, eigenwillige Bleistiftschrift. Die Eintragungen zeigen zuweilen in den Zeilen Brüche, als seien sie während eines Rittes gemacht worden.
10. (?)o5
Kam am 10. in Klipdam an. Die Bondels feuerten einige Schüsse als Salut, schlachteten einen Ochsen und brachten mir Kaffee mit Salz und Milch und reichten mir Fleisch in dem Deckel eines Feldkessels.
12.
Eine weitere Patrouille kam in Klipdam an; Kommandant Hendrik dahinter.
Heute sah ich, wie ein Mensch sich Hilfsmittel verschaffen kann. Aus Türen und Brettern der Häuser zogen sie Nägel, feilten sie und beschlugen die Pferde damit, was seinen Zweck sehr gut erfüllte. Die Bondels sind bemüht, die Velschoens für sich zu gewinnen.
13. 2. 05 (?)
Eine nach Witkrans ausgesandte Patrouille fing den Boeren und das Rindvieh eines Mannes namens Jekner ab. Jekner floh mit seinem Gewehr über die Grenze. Die Bondels sagen, daß er in Kran (?) Weiber und Kinder kaltblütig ermordete. Sie fanden die Munition des Boeren, die dieser vergraben hatte. Ein Mann namens Esau mit seiner Familie war zur Zeit auch dort.
10. 3. 05
Die Bondels kämpften gegen die Deutschen bei Kactchanas. Die Bondels beabsichtigten, in einem Engpaß zu fechten, zögerten aber zu lange und erlaubten dadurch den Deutschen, die Ebene zu erreichen. Die Bondels erwarteten nun die Deutschen in einem Hinterhalt und ließen sie heranreiten. Ein Mann ritt den anderen voraus, und den nahmen die Bondels unter Feuer. Die Deutschen stürmten, wurden aber mit schweren Verlusten zurückgeworfen. Nach einem Buch, das einem Deutschen abgenommen wurde, hatten diese einen Verlust von 110, einhundertzehn, Toten ohne die Verwundeten. Die Bondels nahmen ein Maximgeschütz fort; die Deutschen flohen jene Nacht.
Das Tagebuch wurde Morenga beim Übertritt an der englischen Grenze von der Kappolizei abgenommen. Später kam es als Erinnerung in die Hände des Vaters von Leutnant Fürbringer. Das Buch ist leider verschollen. Lediglich einige Seiten blieben als Fotokopie erhalten.
Was an diesen wenigen Notizen auffällt, ist, daß Morenga immer von den Bondels spricht, wenn gekämpft wird, nicht von sich oder anderen Führern. Aber heute faßbar, in den wenigen überkommenen Berichten und Dokumenten, ist nur sein Schicksal und das Schicksal einiger anderer Anführer der Aufständischen. Die anderen, Namenlosen tauchen in den Berichten allenfalls als Zahl auf, hin und wieder einmal ein Name, ein Urteil.
Morenga, dessen Name erstmals im Bondelzwart-Aufstand 1903 erwähnt wird, muß zuvor in den Kupferminen von Ookiep gearbeitet haben. Seinen von den Deutschen bewunderten Bildungsstand wird er sich an einer Missionsschule erworben haben. Angeblich soll er von einem Missionar mit nach Europa genommen worden sein und dort auch Deutschland kennengelernt haben. Vielleicht hat er so an der Reling eines Dampfers gestanden, wie es sich Missionar Gorth vor fünfzig Jahren vorgestellt hatte: großgewachsen, mit einem ruhigen, selbstbewußten Auftreten.
Man kann versuchen, sich das vorzustellen: Wie Morenga
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