Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
wäre sinnlos, sich damit zu befassen. Sie sind alle gefährlich, aber Haupttor ist das, welches ihr Zauberfeuer nennt: ohne dieses Tor müssen alle anderen verblassen. Sie haben alle einmal hierhergeführt; jetzt existieren sie nur noch, ohne Tiefe oder Ausrichtung. Sie sind das einzige, das Thiye noch immer nicht voll beherrscht. Er kann sie nicht einzeln vernichten oder benutzen.
Thiye ist nicht mit mir verwandt, aber er hat Helfer. Er spielt mit Dingen, die er nur zur Hälfte begreift, obwohl es natürlich sein kann«, fügte sie hinzu, »daß hundert Jahre sein Wissen vermehrt haben.«
»Ich verstehe davon überhaupt nichts«, wandte er ein. »Befreie mich von dieser Sache. Es macht dir keine Ehre, mir eine solche Aufgabe zu stellen. Ich begleite dich, das schwöre ich: ich werde dir als
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dienen, bis du getan hast, was deine Absicht ist, egal, welch gemeine oder niedere Dinge du von mir verlangst. Ich schwöre das, auch über mein Jahr hinaus, sogar bis Ivrel, wenn das dein Ziel ist. Aber verlang nicht
das
von mir und knüpfe meinen Eid als
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daran.«
»All diese Dinge«, sagte sie leise, »soll mir der Eid verschaffen, den du bereits gesprochen hast.« Ihre Stimme klang beinahe freundlich: »Vanye, ich bin verzweifelt. Zu fünft kamen wir hierher, vier sind tot, weil wir nicht genau wußten, womit wir es zu tun hatten. Das alte Wissen ist hier noch nicht völlig tot; Thiye hat Wesen gefunden, die ihn unterrichten, und vielleicht hat sein Wissen inzwischen tatsächlich zugenommen: auf eine Weise hoffe ich das sogar. Sein Unwissen ist so gefährlich wie sein böser Charakter. Aber wenn ich dich schicke, sollst du nicht völlig ahnungslos antreten.«
Er neigte den Kopf. »Erzähl mir nicht davon. Wenn du einen rechten Arm brauchst, bin ich da. Mehr habe ich nicht.«
»So muß es denn genügen«, sagte sie, »wenigstens für den Augenblick. Ich will Euch kein Wissen aufzwingen, das Ihr nicht unbedingt braucht.«
Und sie machte sich mit dem Messer über einen Ast her und spitzte ihn an, damit sie die Fleischstreifen daran aufspießen konnte.
Er setzte den Helm ab, denn das Metall schmerzte nach den langen Stunden auf seiner Stirn; die Kappe behielt er jedoch auf; es war kalt, und die Schande lähmte ihn, sogar vor ihren Augen. Er wickelte sich fester in seinen Mantel, machte Anstalten, sich selbst etwas zu Abend zu bereiten, und teilte den Wein mit ihr.
Anschließend ging er zu dem Baumstamm und streckte sich auf dem höheren Teil aus, während sie sich einige Zeit später weiter unten niederlegte. Es war ein seltsames Bett, aber weitaus besser als der kalte Schnee unter ihnen; und er legte sich zurecht wie ein Krieger auf einer Totenbahre, das Langschwert auf der Brust umklammert; er wollte es in dieser Nacht und an diesem Ort nicht aus den Händen lassen. Er hatte sogar blank gezogen.
Später, als das Feuer weit herabgebrannt war, beunruhigte ihn der Eindruck, daß sich noch etwas rührte außer dem Wind, der die vereisten Äste knacken ließ, etwas Großes, Gewichtiges; er strengte Augen und Ohren an und atmete lautlos.
Plötzlich sah er Morgaines Hand unter ihrem Mantel zum Gürtel wandern und wußte, daß sie wach war.
»Ich lege Holz nach«, sagte er; die Worte waren für einen Beobachter bestimmt. Er ließ sich von dem Baumstamm in eine geduckte Position rollen und rechnete fast mit einem Angriff.
Äste knackten. Schnee knirschte, die Geräusche entfernten sich schnell.
Er sah Morgaine an.
»Das war kein Wolf«, sagte sie. »Leg das Feuer nach und behalte die Pferde im Auge. Wenn wir jetzt reiten, sind wir vielleicht kein besseres Ziel als hier im Lager. Aber ich fürchte, der Weg hat sich zu sehr geändert, als daß ich ihn bei Dunkelheit riskieren sollte.«
Die weitere Nacht war sehr unruhig. Die Wolken verdichteten sich. Gegen Morgen fielen die ersten Schneeflocken.
Vanye fluchte voller Gefühl. Er haßte die Kälte wie den Tod; sie umschloß ihn, bis die ganze Welt weiß war, und sie huschten durch den nebelhaften Wind wie Gespenster und verloren sich dann und wann fast aus den Augen – bis der Himmel schließlich nicht mehr herabrieselte und sie einen klaren Nachmittag erlebten.
Der Weg war nun gar kein Weg mehr, doch Morgaine behauptete immer noch zu wissen, wohin sie sich wenden mußte; sie sei ja erst vor wenigen Tagen hier geritten, als die Bäume, die jetzt alt aussahen, noch ganz jung waren, als andere Stämme hier standen, die es nun nicht mehr gab, als der Weg noch gut
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