Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
Bruder, daß du einiges darüber weißt.«
»Ich weiß nur, daß sie mich aufgefordert hat, die Hände davon zu lassen«, antwortete Vanye. »Und du solltest dich besser danach richten, Erij. Sie sagt, in dieser Klinge steckt Gefahr, es sei eine verfluchte Klinge, und ich glaube ihr.«
»Ich weiß, daß die Waffe ihr wichtiger ist als dein Leben«, entgegnete Erij, »und teurer als alle anderen Besitztümer. Das war klar.« Er zog die Klinge zurück, als Vanye zögernd die Hand danach ausstreckte. »Nein, Bruder. Aber ich erwarte deine Erklärung, welchen Wert diese Klinge für sie hat. Wenn du mein Bruder bist, wirst du es mir freiwillig erzählen.«
»Ich sage dir in aller Offenheit, daß ich es nicht weiß«, antwortete Vanye. »Wenn du klug bist, läßt du mich mit dem Ding zu ihr reiten, ehe es noch Schaden anrichtet. Von allen Dingen, die sie besitzt, ist dies das einzige, das ihr selbst angst macht.«
Und zum zweitenmal griff er danach, getrieben von Angst, was Erij mit der Klinge wohl vorhatte: denn dieses Ding war ein Ding der Macht, das schloß er aus der Art und Weise, wie Morgaine damit umging, die ihm die Waffe nie überlassen hatte. Plötzlich erhob Erij die Stimme zu einem Schrei. Die Tür öffnete sich krachend: die vier Myya stürmten herein.
Und Erij schüttelte mit einer Hand die Scheide von der Klinge und hielt sie blank in der Hand. Die Klinge wurde von durchscheinendem Eis zu einer Spitze opalisierenden Feuers, ein fürchterliches Luftschimmern, das Vanye nur zu gut kannte.
»Nein!« rief er und warf sich zur Seite. Die Luft rauschte in eine Schwärze, ein Wind zupfte, und die Myya waren fort, hineingerissen in eine riesige Leere, die sich zwischen ihnen und der Tür aufgetan hatte.
Erij warf entsetzt die Waffe fort, ließ sie über den Boden rutschen, Vernichtung nach sich zerrend; abrupt packte Vanye die Scheide und kroch auf die verlassene Klinge zu, packte sie mit der Hand, während im gleichen Augenblick weitere Männer durch die Tür hereindrängten. Dieselbe sternenerfüllte Dunkelheit hüllte sie ein, und sein Arm wurde gefühllos.
Da wußte er, warum Erij die Waffe hatte fallen lassen – getrieben von einem durchdringenden Gefühl der Abscheu vor solchen Kräften –, und plötzlich hörte er die laute Stimme seines Bruders und spürte eine Hand an seinem Arm.
Er war klug genug, sich nicht umzudrehen und zu vernichten – vielmehr rannte er durch den Korridor und die Treppe hinab, ungehindert, sobald die wachestehenden
uyin
den unirdischen Schimmer der Zauberklinge in seiner Hand erblickten.
Er kannte den Weg. Dort die Außentür. Er stemmte den Riegel zurück und eilte zum Stallhof. Mit hastigen Flüchen brachte er den weinenden Stalljungen dazu, ihm ein gutes Pferd zu satteln, während in Ra-morij Stille herrschte. Er hielt sich von den Pfeilschlitzen der Fenster fern, von denen die größte Gefahr drohte, und forderte den Jungen auf, durch die Schatten zu kriechen und ihm das Tor zu öffnen.
Dann sprang er auf das Pferd, Zügel und Scheide in einer Hand haltend, die schimmernde Klinge mit der anderen. Er ritt los. Pfeile umschwirrten ihn.
Einer stürzte in den Kanal der Dunkelheit an
Wechselbalgs
Spitze und war verloren. Ein zweiter streifte den Körper des Pferdes und ließ das Tier beinahe stolpern. Aber dann war er durch. Wächter, bedroht von der Klinge, öffneten erschrocken die Tore, und er war frei, galoppierte die gepflasterte Straße hinab auf die weiche Erde des Hangs.
Niemand eilte ihm nach. Er stellte sich vor, wie Erij seine Männer fluchend zur Ordnung rief, wie er versuchte, mutige Verfolger zu finden – daß Erij sich persönlich an die Verfolgung machen würde, bezweifelte er nicht. Er kannte seinen Bruder zu gut, um sich einzubilden, daß dieser von dem einmal gefaßten Entschluß abweichen würde. – Und Erij wußte, welche Straße der Fliehende einschlagen mußte. Wäre Vanye nicht in Morija geboren worden, hätte er keine Chance gehabt, doch er kannte das Gewirr der Abkürzungen und Nebenstraßen so gut wie Erij.
Es ging darum, Baien-ei und Morgaine vor den Myya und ihren Pfeilen zu erreichen.
8
Wieder wurde er verfolgt. Wenn er zu einer Stelle ungeschmolzenen Schnees im Sternenschein zurückblickte, entdeckte er einen dunklen Punkt auf einem Hügel oder an der Straße; aber der galoppierende Braune hielt den Vorsprung.
Sie hatten nicht lange auf sich warten lassen. In erster Linie mußte sich Vanye vor den Pfeilen in acht nehmen. Sobald man
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