Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
haben es in den letzten Tagen auf diesem Wege versucht – und dabei Pech gehabt.«
»Lady.« Er verneigte sich, drückte die Stirn kurz an die Erde, richtete sich erschöpft wieder auf. »Eine große Streitmacht ist entweder unterwegs oder bereits hier. Erij dürstet es nach Thiyes Macht, er glaubt sie für sich beanspruchen zu können.«
»Du hast mir zugerufen, ich solle ihm nicht trauen«, sagte sie. »Das habe ich dir geglaubt. Wie soll ich dir jetzt glauben? Ist das Schwert ein Geschenk oder hast du es gestohlen?«
Ihre Worte erschreckten ihn, soweit ihn in seiner Erschöpfung überhaupt noch etwas ängstigen konnte: er wußte, wie wenig Geduld sie mit etwas hatte, dem sie nicht traute – und er hatte keine Beweise. »Mehr als das Schwert habe ich nicht vorzuweisen«, sagte er. »Erij zog die Klinge blank: sie tötete mehrere Menschen, und er hatte Angst, sie zu halten. Als sie zu Boden fiel, nahm ich sie an mich und rannte los – die Waffe ist ein machtvoller Schlüssel, Lady, für Tür und Tor.«
Sie schwieg einen Augenblick lang. Er hörte das leise Sirren, das ihm anzeigte, daß die Klinge zum Teil herausgezogen worden war, das leise Klicken, als sie wieder zurückgeschoben wurde. »Habt Ihr die Waffe gehalten, blank?«
Sie stellte diese Frage in einem Ton, als wünschte sie sich ein Nein zur Antwort.
»Ja«, antwortete er leise. »Mir liegt nicht daran,
liyo,
ich möchte sie nicht tragen, auch wenn ich sonst waffenlos bleiben müßte.« Er wollte ihr von den Myya erzählen, von den Ereignissen in der Burg; er hatte keinen Namen dafür und sah vor seinem inneren Auge die verlorenen Gesichter. In einem tiefen Winkel seines Ich wollte er nicht wissen, was aus ihnen geworden war.
»Das Schwert zapft die Energie der Tore selbst an«, sagte sie und bewegte sich in der Dunkelheit. »Ryn, siehst du etwas?«
»Nichts, Lady.«
Sie lehnte sich zurück, diesmal in dem schwachen Sternenlicht, das durch den Mauerspalt drang; nun konnte er ihr Gesicht erkennen, halb im Schatten, das Licht von der Seite kommend. »Wir müssen weiterreiten. Heute nacht noch. Oder seid Ihr anderer Meinung, Vanye?«
»Auf der Anhöhe draußen sind Bogenschützen postiert. Aber ich tue, was du beschließt.«
»Trau ihm nicht!« zischte Ryns Stimme von oben. »Nhi Erij hat ihn viel zu sehr gehaßt, um ihn oder das Schwert so leichtfertig gehen zu lassen!«
»Was sagt Ihr dazu, Vanye?« fragte Morgaine.
»Nichts«, antwortete er. Plötzlich siegte die Erschöpfung; er hatte nicht mehr die Kraft, mit dem Jüngling zu streiten. Seine Augen waren auf Morgaine gerichtet; er erwartete ihre Entscheidung.
»Bis auf
Wechselbalg
gaben mir die Nhi alles zurück«, sagte sie. »Vermutlich ahnten sie nicht, daß einige der Dinge, die sie mir überließen, Waffen waren; das Schwert allerdings erkannten sie, nicht aber die anderen. Man überließ mir außerdem deine Besitztümer – deine Rüstung, dein Pferd, dein Schwert und deinen Sattel. Mach dich fertig. Die Sachen liegen dort in der Ecke. Ich bezweifle nicht, daß du mit den Bogenschützen recht hast; trotzdem müssen wir weiterziehen. Dein Kommen und Gehen kann nicht unbemerkt geblieben sein.«
Vanye tastete sich durch die Dunkelheit, fand die Ecke und die Dinge, die sie erwähnt hatte, die vertraut-rauhe Oberfläche des Kettenhemdes, das jahrelang seine zweite Haut gewesen war. Es kam ihm schwerer vor, als er es in Erinnerung hatte: seine Finger zitterten, als er die Schnallen schloß.
In Gedanken befaßte er sich mit dem bevorstehenden Ritt – den schmalen Paß hinab, und erkannte mit zunehmender Besorgnis, daß seine Kräfte dafür nicht mehr ausreichten. Er hatte sich zu sehr verausgabt: sein Körper hatte nicht mehr viel zuzusetzen.
Unwahrscheinlich, daß sie ungeschoren entkommen würden, überlegte er. Auf das Sirren von Myya-Pfeilen reagierte sein Körper inzwischen automatisch. Zu vielen war er in Erd und Morija bereits entkommen. Diesmal waren die Chancen auf Seiten der Pfeile.
Morgaine kam zu ihm, ertastete seine Hand, nahm sie und drehte sein Handgelenk nach oben. Das Ding, das dann überraschend zubiß, war wie eine Waffe, und er zuckte zusammen. »Ihr habt nichts damit im Sinn«, sagte sie. »Aber es ist mein Wille. Ich habe selbst wenig genug davon; im Gegensatz zu meinen anderen Mitteln sorgt die Sonne nicht für Erneuerung, und wenn es verbraucht ist, ist es verbraucht. Aber ich will Euch nicht verlieren,
ilin.«
Er rieb sich die schmerzende Stelle, erwartete
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