Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
vergrabenes Gold an. Aber Chadrih starb, und das verachtete Barrow-Volk lebte weiter, die südlichsten aller Menschen, in einer Feste, Ruinenfestung eines früheren Barrow-Königs auf dem — nach Anlas Krone — letzten und größten Felsen von ganz Hiuaj.
Dies war Jhiruns Welt. Sonnengebräunt und durchgewärmt lenkte sie ihr flaches Boot mit geschickten Stößen der Stange durch Kanäle, die in dieser Phase der Gezeiten kaum knietief waren. Sie war bärfuß, verwendete Schuhe nur im Winter und hatte den fransengesäumten Rock über die Knie hochgerollt, weil niemand sie sah. Ein verschlossener Krug mit Brot und Käse und ein zweiter voller Bier ruhten im Bug; außerdem befanden sich dort eine Schlinge und eine Handvoll glatter Steine, denn sie verstand sich darauf, die braunen Sumpfvögel mit der Schlinge zu erlegen.
Es hatte am Abend zuvor geregnet, und der Aj stand etwas höher und füllte einige flachere Kanäle, so daß sie schneller vorankam. Nach dem zunehmenden Dunst vor der aprikosenfarbenen Sonne im Osten zu urteilen, würde es vor Abend wieder regnen; das Hochwasser, Hnoth geheißen, war allerdings noch einige Tage entfernt. Die sieben Monde tanzten wohlgeordnet durch den wäßrigen Himmel, und als einziges rieb sich die Kraft des Aj seufzend an den Schilfhalmen. Die Barrows, die bei Hnoth fast völlig überspült wurden, zeigten sich trotz des Regens in stolzer Fülle, und der Stehende Stein von Junai ragte ganz aus dem Wasser.
Es war ein heiliger Ort, dieser behauene Stein und seine kleine Insel. In der Nähe erstreckte sich ein Ausläufer des tiefen Sumpfes. Die Sumpfbewohner kamen zum Junai-Stein, um sich an Mittzyklustagen mit den Barrowern zum Tauschen zu treffen — Jhiruns große Artgenossen mit den kleinen Menschen der tiefen Sümpfe. Fleisch und Muscheln und Metalle waren das Angebot an die Sümpfe; Holz und Ohtija-Korn aus Shiuan und sorgfältig gearbeitete Stiefel und Körbe brachten die Sumpfbewohner. Doch wichtiger als der Tauschhandel war der Vertrag, der diesen Handel reglementierte, diese ständigen Kontakte, die sie zum beiderseitigen Nutzen zusammenführte und die Gelegenheit für Streitereien beseitigte, so daß jeder Barrower sich im Barrowland sicher bewegen konnte. Natürlich gab es Geächtete, Menschen oder Halblinge, verstoßen aus Ohtij-in oder Aren, und vor solchen Gestalten mußte man immer Angst haben; doch seit vier Jahren war von diesen keiner mehr so weit nach Süden gekommen. Die Sumpfbewohner hatten die letzten drei gefangen und an dem toten Baum bei der alten
khalin
-Ruine von Nias Hügel aufgehängt, und die Barrower hatten ihnen diesen guten Dienst mit Gold entgolten. Die Sumpfbewohner dienten den Bewohnern der Barrows als Schutzwall gegen jedes Übel außer dem Meer und machten ihnen ansonsten keinen Ärger. Aren lag tief im Sumpf, und die Sumpfbewohner beschränkten sich darauf. Wenn sie zum Feilschen kamen, stellten sie sich nicht einmal in den Schatten eines Barrowers, sondern äußerten nur laute Gebete und drängten sich unter dem freien Himmel zusammen, als fürchteten sie Ansteckung oder Überfall. Ihnen waren die sterbenden Wälder und ihre eigenen Riten lieber, in denen von Barrow-Königen nicht die Rede war.
Hier draußen am Rande der Welt lag das Barrow-Land, weit und leer, hier ragten nur die konischen Hügel über die Flut, über das dahinterliegende endlose Wasser mit den Scharen weißer Vögel am Himmel. Jhirun kannte jede große Insel, jede steinwurflange Fläche unüberfluteter Erde, kannte sie bei den Namen von Königen und Helden, die außerhalb der Überlieferungen der Barrower vergessen waren, die die Könige als Vorfahren in Anspruch nahmen und noch die Worte der alten Lieder in Akzenten singen konnten, die kein Sumpfbewohner zu verstehen vermochte. Einige dieser Hügel waren in der Spitze sogar hohl, Steinkappen, mit Erde bedeckt, die vor langer Zeit den plündernden Händen von Jhiruns Vorfahren ihre Schätze ausgeliefert hatten. Andere Erhebungen widersetzten sich noch immer allen Bemühungen, die darin befindlichen Steingräber aufzuspüren, und schützten auf diese Weise ihre Toten vor den Lebenden. Und einige schienen echte Berge zu sein, schienen kein hohles Herz in Form einer menschengemachten Kammer zu haben, mit Königsschätzen und Waffen. Die Berge, die ihre Reichtümer hergaben, waren das Lebensblut der Barrower; sie lieferten Gold, das die Barrower zu Ringen verarbeiteten und an die Sumpfbewohner verkauften, die ihrerseits in
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